Mein 5-jähriger Neffe erklärt selbstsicher: „Nächstes Jahr gehe ich in die Schule“ und meint zu seinem kleinem Bruder gewandt: „Du darfst eben noch nicht“. Und wenn er zu mir sagt: „Du musst mit mir spielen“ oder „Nein, ich muss nicht immer helfen!“, dann stelle ich fest, dass er recht klare Vorstellungen von dem hat, was ihm zustehen sollte.
Wenn ein 13-jähriges Mädchen ohne Protest ihren Schulbesuch abbricht, sich in eine arrangierte Ehe fügt, täglich harte Feldarbeit auf leistet und mit 15 Jahren ihr erstes Kind bekommt, so ist dies in Mosambik nichts Ungewöhnliches. Das Mädchen handelt so, wie es ihr von Altersgenossen und erwachsenen Bezugspersonen als „normal“ vermittelt wird. Von einem Recht auf Schulbesuch oder auf Freizeit und Spiel hat sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört. In ihrem Kulturkreis werden Kinder nur selten als Träger von Rechten gesehen, und eine 13-Jährige gilt bereits als Frau.
Aber nicht alles ist relativ
Zumindest nicht im internationalen Recht, wo es seit 1989 einen Grundkonsens über das Minimum gibt, was ein Kind für ein Leben in Würde und Sicherheit benötigt. Dieser Konsens wurde im Rahmen der UNO von Ländern mit ganz unterschiedlichen kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgehandelt und ist heute in der Kinderrechtskonvention festgehalten. Bis heute haben sich 193 Staaten verpflichtet, innerhalb ihrer Möglichkeiten alles zu tun, um diese Kinderrechte umzusetzen und sicherzustellen. Dazu gehören auch Afghanistan, Saudi-Arabien und Haiti. Nur die USA konnte sich noch nicht zur Ratifikation der Konvention überwinden.
Zwischen Papier und Realität
Bei der Mehrheit dieser Länder sieht die Realität aber ganz anders aus: Weltweit bleibt jedem zehnten Kind die ihm zustehende Primarschulbildung verwehrt. Und um die 100 Millionen Kinder verrichten Arbeiten, die ihrer physischen und psyschischen Entwicklung schaden.
Es fragt sich also, worin der Sinn einer Konvention liegt, die an so vielen Orten nur mangelhaft umgesetzt wird. Meine persönliche Antwort darauf ist, dass sie sehr wohl ein entscheidendes Instrument zur Schaffung besserer Lebensbedingungen von Kindern ist. Aber es ist ein langwieriger Prozess vom Ideal über die rechtliche Verankerung bis zur Umsetzung in den ärmsten oder korruptesten Ländern. Hinderlich ist dabei vor allem, dass Regierungen wechseln und Entscheidungsträger ihre Prioritäten verschieben. So bleiben einmal gemachte Zusagen vielerorts bloss Papierhüllen.
Den Graben überwinden
Genau hier gilt es anzusetzen und zwar nicht von oben, sondern von unten her. Was mein Neffe im Thurgau schon mit fünf Jahren von anderen mitbekommen hat, müssen Eltern und Kinder in vielen Teilen der Welt erst einmal erfahren. Nur wer weiss, worauf er einen Anspruch hat, ist in der Lage, diesen auch zu formulieren und zu verteidigen. Und von da an geht es weiter, Schritt für Schritt, bis jedes 13-jährige Mädchen dieser Welt zur Sekundarschule gehen kann.