Ich habe an Orten gestanden, an denen Hoffnung unmöglich schien – und miterlebt, wie humanitäre Helfer*innen sie wieder zum Leben erweckten. Für mich ist das nichts weniger als aussergewöhnlich.
Jedes Jahr am 19. August feiern wir den Welthumanitärtag – ein Moment, um jene zu ehren, die ihr Leben dem Dienst an anderen widmen, oft unter den schwierigsten und gefährlichsten Bedingungen.
Dieser Tag erinnert auch an die Opfer des Bombenanschlags auf das UNO-Hauptquartier in Bagdad im Jahr 2003, bei dem 22 humanitäre Mitarbeitende tragisch ums Leben kamen. Und dieses Jahr ist besonders entscheidend: Das gesamte humanitäre System wird überdacht, die Zahl getöteter Helfer*innen und Zivilpersonen steigt drastisch, und Krisen dauern länger, werden komplexer und zunehmend durch den Klimawandel, langanhaltende Konflikte und wirtschaftliche Zusammenbrüche verursacht.
Doch dieser Tag ist nicht nur ein Blick zurück. Er ist auch ein Anlass, die Gegenwart zu würdigen und mit neuer Hoffnung in die Zukunft zu schauen. Es geht darum, jene anzuerkennen und zu stärken, die mit Mut und Mitgefühl in Gebieten arbeiten, in denen Hoffnung nur noch an einem dünnen Faden hängt.
Dieser Tag ist für euch, liebe humanitäre Kolleg*innen.
Ihr seid die Mutigen, die ins Katastrophengebiet rennen, wenn andere fliehen. Ihr bleibt, lange nachdem die Schlagzeilen verschwunden sind.
Ihr lasst eure Familien zurück, um Fremden in deren dunkelster Stunde beizustehen. Euretwegen wächst mein Glaube an die Menschlichkeit.
Die Herausforderungen für humanitäre Helfer*innen heute
Bleiben, um sicher zu sein – oder gehen, um zu helfen? Wir wollen Menschen in Krisen erreichen, ihnen zuhören, verstehen, was sie wollen und brauchen, und mit Würde reagieren. Doch der Zugang wird uns immer häufiger verweigert, und Helfer*innen werden gezielt angegriffen. Heute geht es nicht mehr nur um das Leben der von Konflikten oder Naturkatastrophen betroffenen Menschen – sondern auch um das Leben jener, die helfen.
Mitte 2025 sind erst 17 % der benötigten 46 Milliarden US-Dollar eingegangen, um den weltweiten humanitären Bedarf zu decken – ein alarmierender Rückgang um 40 % im Vergleich zum Vorjahr. Das UNO-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) hat seinen globalen Appell auf 29 Milliarden US-Dollar gesenkt und die Zahl der Zielgruppen auf 114 Millionen Menschen reduziert. Die wachsende Kluft zwischen Bedarf und tatsächlicher Hilfe zeigt, wie dringend eine Reform des Systems ist – es verfehlt zunehmend sein Versprechen gegenüber den betroffenen Gemeinschaften.
Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen Helfer*innen in erschreckendem Tempo zu. 2024 wurden über 380 humanitäre Mitarbeitende in 20 Ländern getötet – fast 100 mehr als im Jahr davor. Damit war 2024 das tödlichste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Zivilpersonen leiden weiterhin massiv unter bewaffneten Konflikten und Gewalt: Mehr als 36 000 Menschen kamen in 14 aktiven Konflikten ums Leben. Die weltweite Zahl der Vertriebenen hat mit 122.6 Millionen einen historischen Höchststand erreicht.
Bis August 2025 haben weitere 248 Helferinnen ihr Leben verloren – überproportional viele einheimische Mitarbeitende in Hochrisikogebieten wie Äthiopien, Sudan, Südsudan, Libanon, den besetzten palästinensischen Gebieten, Myanmar, der Ukraine und Syrien.
Setzt sich dieser Trend fort, könnte 2025 das tödlichste Jahr für humanitäre Helferinnen werden.
Am Welthumanitärtag müssen wir eine ernüchternde Wahrheit anerkennen: Helfer*innen stehen vor beispiellosen Bedrohungen. Die Strukturen, die sie aufrechterhalten, werden zerstört, ihre Sicherheit durch Gewalt gefährdet, ihre Handlungsmöglichkeiten durch schrumpfende Budgets eingeschränkt. Das sind nicht nur organisatorische Probleme – es geht um Leben und Tod. Ohne rasches Handeln wird der Preis nicht nur in verlorenen Jobs, sondern in verlorenen Menschenleben gemessen.
Weniger helfen – oder bald niemandem mehr helfen?
Bei meinem letzten Besuch in Port Sudan traf ich ein junges Mädchen – voller Energie und Lebensfreude. Ihr Lächeln war ein Zeugnis ihrer Stärke und Widerstandskraft. Sie war in etwa so alt wie meine eigene Tochter. Dieses kurze Gespräch erinnerte mich daran, dass hinter jeder Krise Leben, Träume und Zukunftshoffnungen stehen, die es zu schützen gilt.
Wir wollen lebensrettende Hilfe, Schutz und Hoffnung geben. Doch die Mittel schwinden. Eine aktuelle Studie von World Vision zeigte: Familien, die Kürzungen bei der Nahrungsmittelhilfe erlitten, waren besonders verletzlich – sie hatten ein 5,4-mal höheres Risiko für akute oder schwere Ernährungsunsicherheit und berichteten von schlechteren Bildungs- und Schutzmöglichkeiten für ihre Kinder.
Wir sind an einem Punkt, an dem Helfer*innen den Hungernden nehmen müssen, um die Verhungernden zu retten. Diese herzzerreissende Realität spiegelt sich in drastischen Priorisierungsübungen und massiven Kürzungen von Hilfseinsätzen wider.
Gemeinsames Handeln voranbringen
Wir fordern weiterhin alle Konfliktparteien auf, sofort Massnahmen zur Beendigung von Kriegen zu ergreifen und Frieden durch diplomatische und politische Lösungen zu sichern. Das ist entscheidend, um Leben zu retten und das unerträgliche Leiden der Verletzlichsten – vor allem der Kinder – zu lindern.
In einer Zeit eskalierender Notlagen, wachsender Herausforderungen und unzureichender Hilfsgelder reichen rein programmatische Ansätze nicht mehr aus, um Hunger, Schaden und schwere Entscheidungen zu verhindern oder zu bewältigen.
Lasst uns mutig gemeinsam unsere Stimme erheben gegen den Rückzug von humanitären Grundsätzen, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts (IHL) einfordern, auf die Achtung humanitärer Prinzipien bestehen und die Umsetzung der UNO-Sicherheitsratsresolution 2417 verlangen. Diese verbietet den Einsatz von Hunger als Waffe, fördert Frühwarnsysteme und schützt zivile Infrastruktur vor Angriffen.
Sinn in Gefahr – der unerschütterliche Geist der Helfenden
Trotz aller Gefahren ist die Kraft von Mitgefühl und Solidarität heute wichtiger denn je. Humanitäre Helfer*innen erfüllen weiterhin ihre Aufgabe. Sie entscheiden sich, ihr Leben für Menschen in Konflikten zu riskieren, die keine Wahl haben. Sie bringen das höchste Opfer – in der Hoffnung, dass die von ihnen unterstützten Menschen eines Tages ihr Leben in Fülle leben können.
Diese Erfahrungen und die Inspiration meiner Kolleg*innen haben nicht nur meine berufliche Laufbahn geprägt, sondern auch meinen Lebenszweck gefestigt. Sie haben mir eine Wahrheit bestätigt, die mich schon immer leitet: Humanitäre Hilfe ist nicht einfach Unterstützung. Sie ist eine Lebensader.
Am Welthumanitärtag lasst uns nicht nur derer gedenken, die wir verloren haben, sondern auch den Mut jener ehren, die weiterhin diese Lebensader bereitstellen. Lasst uns unser Engagement erneuern, den humanitären Handlungsspielraum zu schützen, Zugang in komplexen Lagen zu ermöglichen, in die betroffenen Gemeinschaften zu investieren und jene zu unterstützen, die Hoffnung bringen.

Über die Autorin
Isabel Gomes leitet die humanitären Einsätze von World Vision mit dem Ziel, die Verwundbarkeit von Millionen von Kindern vor, während und nach Katastrophen zu verringern.
Sie lebt derzeit in Genf, Schweiz, und verfügt über 25 Jahre Erfahrung im humanitären Bereich, zuletzt mit Schwerpunkt auf globaler Spenderbetreuung, Mittelbeschaffung, Strategie, operativen Abläufen und politischer Arbeit.
Ihre Laufbahn begann sie in Angola in der Arbeit mit demobilisierten Soldaten. Seither war sie in unterschiedlichen Funktionen an humanitären Einsätzen in 15 Ländern beteiligt – darunter einige der schwierigsten und herausforderndsten Kontexte weltweit, wie Osttimor, Liberia, Sudan, Pakistan, Indonesien und Mosambik.