Hungerkrise: Zwei Perspektiven aus dem Südsudan

22. Mai 2017

Grossmutter und Enkel aus dem Suedsudan

Mit ihrem Enkel Deng auf dem Arm macht sich Mary auf den Weg zur Lebensmittelverteilung.

Noch vor dem Sonnenaufgang weckt Mary ihren kleinen Enkel Deng. Leise schleichen sie sich aus der Hütte und machen sich unter sternenklarem Himmel auf den langen Weg. Vier Stunden Fussweg stehen vor ihnen und Mary, die den kleinen Deng auf dem Arm trägt, hat keine Schuhe. Die Äste knirschen unter ihren Fersen als die noch junge Grossmutter an Hütten und Bäumen vorbeiläuft, um auf die naheliegende Strasse zu gelangen. Jetzt, wo die Sonne noch keine brennende Hitze verbreitet, läuft Mary schnell. Sie weiss genau, dass sie heute Lebensmittel erhält und dafür ist keine Zeit zu verlieren und keine Strecke zu weit. «Seit Wochen esse ich nur Blätter und auch Deng hat nichts anderes,» erzählt die Grossmutter. Schon seit einem Jahr lebt ihr kleiner Enkel bei ihr. «Meine ganze Familie wurde letztes Jahr bei einem Überfall ermordet», sagt sie leise. «Jetzt sind nur noch mein Mann und ich hier – und Deng. Er ist das Kind meines verstorbenen Sohnes. Irgendwann werden wir ihm erzählen müssen, was mit seinen Eltern passiert ist.»

Stärke und Widerstandskraft
Menschen wie Mary treffe ich bei meinen Reportagen aus dem Südsudan fast täglich. Seit fast einem Jahr bin ich nun immer wieder hier unterwegs, um über die humanitäre Situation, den Konflikt und seit Februar auch die Hungersnot zu berichten. Seit der Unabhängigkeit – aber eigentlich schon seit Jahrzehnten – leidet die Bevölkerung schwer. Viele Menschen erzählen mir ihre Geschichte: Sie haben Familienmitglieder verloren, sind aus ihren Dörfern geflohen und haben Hunger.

Wenn ich nach einem Besuch in abgelegenen Teilen des Landes nach Hause gehe – entweder nach Juba oder zurück nach London – begleiten mich diese Erzählungen. Sie verändern meine Perspektive und oft nehmen mir die vielen Frauen und Kinder, die ich treffe, auch die Angst, im Krisengebiet unterwegs zu sein. Sie zeigen mir Stärke und Widerstandskraft, und auch, dass es überall möglich ist, die kleinen, schönen Dinge im Leben zu sehen. Oft werde ich mit Tänzen und Liedern willkommen geheissen; immer rennt eine Kinderschar lachend auf mich zu.

So war es auch, als ich Mary zu einer Lebensmittelversorgung begleitete. Tausende von Menschen waren hier registriert, um Bohnen und Hirse zu erhalten. Es hätte chaotisch zugehen können, aber das Team von World Vision war komplett organisiert. Alle angemeldeten Familien erhielten ihren monatlichen Anteil und viele weitere wurden in eine Liste für die nächste Verteilung aufgenommen.

«Lebensmittelverteilungen sind ein grosser Aufwand,» erzählt die World Vision-Mitarbeiterin Rose Ogola. «Wir wählen den Verteilungsort strategisch – er liegt immer an grossen Strassen und umringt von vielen Dörfern in einer sicheren Gegend. Sobald die Regenzeit beginnt, wird es jedoch viel schwieriger, die Waren zu transportieren. Viele Strassen versinken dann im Schlamm. Genau deshalb planen wir unsere Logistik so genau. Fast 5 Millionen Menschen brauchen Hilfe und wir wollen für sie alle da sein.» Die Schwierigkeiten im Südsudan sind mannigfaltig, aber die Lösungen sind es auch. «Trotzdem brauchen wir hier Frieden, damit wir wirklich die Familien erreichen können, die am Schlimmsten betroffen sind,» fügt Rose hinzu.

Erfahrungen verarbeiten
Ich habe sie heute begleitet, um Fotos zu machen und Berichte zu schreiben. Oft fragen mich die Südsudanesen, was ich eigentlich mache. Ich antworte dann: «Ich teile eure Erlebnisse und eure Schwierigkeiten mit dem Rest der Welt.» Oft sind dies heftige Geschichten, die mich berühren. Oft hält mich mein Schreibblock und meine Kamera davon ab, emotional zu werden. Oft sitze ich zu Hause, tippe meine Berichte ab und nutze dies als eine Art, meine Erfahrungen zu verarbeiten. Jedes Mal, wenn ich im Südsudan bin, komme ich verändert zurück, und immer wieder bin ich neu beeindruckt. Dort, in Ostafrika lebt ein Volk, das in den letzten Jahren viel erlebt hat. Trotzdem sind die Menschen stark und freundlich. Sie sind voller Ausdauer und hoffen alle auf langanhaltenden Frieden. Und genau das hoffe ich auch.

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