CEO-Reisetagebuch: Ein Leben ist hier nicht viel Wert

9. Oktober 2015

Reto Gerber, CEO von World Vision Schweiz, in Indien

Ein Geschäftsführer zum Anfassen: Reto Gerber verteilt den Kindern im Armenviertel neue Schulhefte.

Dass es in Indiens Grossstädten schlimmste Armut gibt, war mir wie den meisten Schweizern bekannt. Dass im Zentrum der Hauptstadt Neu-Delhi zwischen den prunkvollsten Hotels ganze Familien mit Kleinkindern am Strassenrand wörtlich dahin vegetieren, hatte ich aber nicht erwartet. Reichtum und schlimmste Armut treffen hier aufeinander wie in kaum einer anderen Hauptstadt.

In den vergangenen Tagen besuchten wir mehrere Slums, in denen World Vision verschiedene Programme durchführt. Die offenen Kanalisationen, der omnipräsente Dreck und die Müllberge erzeugen einen schrecklichen Gestank, welcher unzählige Fliegen und sonstiges Ungeziefer anzieht; die Menschen leben dazwischen, auf engstem Raum. Nach den ersten Slums dachte ich, dass es schlimmer nicht geht. Doch der vierte Slum im Westen von Delhi übertraf alles, was ich bisher gesehen hatte – und ich habe schon einige, sehr arme Gegenden besucht. Viele Kinder dort sind so verwahrlost, dass sie nicht einmal die Namen ihrer Eltern kennen. Die Bewohner sichern sich ihr winziges Einkommen durch das Sammeln von Abfall. Ein etwas «lukrativerer» Zusatzverdienst liegt im Betteln. So stellen sich Gross und Klein täglich zwischen die sich stauenden Fahrzeuge und versuchen im Smog der Stadt ein paar Rupien oder wenigstens etwas zum Trinken zu erhaschen.

Es ist ein Trost zu sehen, was World Vision Indien unter solch schwierigen Bedingungen für eine Arbeit leistet. Vielerorts fehlt es an Grundlegendem. Oft sind Kinder schon mit ein oder zwei Jahren praktisch sich selbst überlassen, erfahren kaum Wertschätzung und Liebe. World Vision engagiert Verantwortliche in den Slums, die den Kindern im Vorschulalter in sogenannten Kinderzentren das ABC beibringen, so dass sie selbst und auch ihre Eltern zum Schulbesuch motiviert werden. Auch wird den Eltern vermittelt, wie sie sich um ihre Sprösslinge kümmern sollten. Dazu gehören für uns selbstverständliche Dinge wie z. B. korrektes Händewaschen. In dieser Umgebung hier kann es über Leben und Tod entscheiden.

Als Ehemann und stolzer Vater von einem Sohn und zwei Töchtern wird es für mich besonders emotional, wenn es um das Thema sexuelle Gewalt geht. Jeden Tag werden in Delhi mit seinen über 11 Millionen Einwohnern zahlreiche Frauen und Kinder vergewaltigt. Oft passieren diese schrecklichen Taten auch in der Familie. World Vision arbeitet zusammen mit der lokalen Polizei und bietet Mädchen und Frauen zweiwöchige Selbstverteidigungskurse an. Viele der Teilnehmerinnen üben das Gelernte regelmässig in der Freizeit und mobilisieren weitere Freundinnen. Eine der «Trainerinnen» demonstriert uns ihre Griffe und erzählt, wie froh sie schon über ihr Wissen waren, als sie in brenzlige Situationen gerieten. 

In Indien wird mir deutlich bewusst, was für einen Unterschied Werte in einer Gesellschaft ausmachen. Respekt vor dem menschlichen Leben fehlt hier scheinbar viel zu oft – und das schockiert. Ich müsste lügen um zu sagen, dass ich nicht froh bin, mich am Abend zurückziehen zu können – vor der Menge und der Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern der Einzelnen. Und doch motiviert mich gerade das, weiterhin mein Möglichstes zu tun, um EINE WELT FÜR KINDER zu schaffen. Denn Gesundheit, Bildung oder Menschenrechte sollten nicht von finanziellem Reichtum abhängig sein.

Diesen Beitrag teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

WIR SIND FÜR SIE DA:

Kinderhilfswerk
WORLD VISION
World Vision Schweiz und Liechtenstein
Kriesbachstrasse 30
8600 Dübendorf

info@worldvision.ch
T +41 44 510 15 15

Zertifizierungen

Wir sind mehrfach anerkannt durch nationale und internationale Gütesiegel.

World Vision ist die Sicherheit und Privatsphäre der Kinder in unseren Patenschafts-Programmen ein grosses Anliegen. [ ]

Wenn Sie Grund zur Annahme haben, dass eines dieser Kinder gefährdet ist, geben Sie uns bitte umgehend Bescheid: Rufen Sie uns an unter +41 44 510 15 93 oder schicken Sie uns ein E-Mail an protection@worldvision.ch.

Verantwortungsvolle Kommunikation

Wir verpflichten uns gemäss dem Manifest von AllianceSud für eine verantwortungsvolle Kommunikation über unsere Projektarbeit. 

Newsletter abonnieren

instagram

 

 

 

 

ALLGEMEINE SPENDEN    PostFinance: IBAN CH12 0900 0000 8000 0093 1

World Vision Schweiz und Liechtenstein ist eine gemeinnützige und somit steuerbefreite Organisation. CHE-333.958.696

World Vision verwendet Cookies, um Ihr Online-Erlebnis zu verbessern.
Mit der weiteren Nutzung von worldvision.ch akzeptieren Sie unsere Datenschutzbestimmungen