Warum verheiraten Familien ihre Töchter?

8. Oktober 2022

Text: Aimée Pearce, World Vision

Es ist nicht leicht, ein Teenager zu sein, ganz egal, wo auf der Welt man herkommt. Aber während viele Teenager ihre Optionen für die Zeit nach der Schule, mögliche Karrierewege oder einfach nur ihre Wochenendpläne abwägen, steht eine wachsende Gruppe von Mädchen vor Entscheidungen, die viel unmöglicher sind.  Zum Beispiel, ob die Heirat mit einem viel älteren Mann es wert ist, ein Dach über dem Kopf und jeden Tag einen vollen Magen zu haben. Oder ob es dies wert ist, um  den Stolz derEltern zu bewahren, oder die Chance, dass dieSchwester weiter zur Schule gehen kann. Denn wenn ein Mädchen die Schule verlässt und verheiratet wird, bedeutet das, dass zu Hause ein Mund weniger zu ernähren ist. Viele Mädchen stehen vor der Entscheidung, ob sie der Ehe und ihrer Familie entkommen, ihr Zuhause für immer verlassen und lange genug überleben könnten, um sich ein neues Leben aufzubauen. Doch sich diesen Fragen zu stellen, dazu haben nicht alle dieser Mädchen überhaupt die Chance: Viele werden vorher verheiratet.

Weltweit wird eines von fünf Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr zwangsverheiratet. Zwar konnte diese Zahl in den letzten zehn Jahren gesenkt werden, doch zwingt die Covid-19-Pandemie wieder mehr Familien, ihre Mädchen zu verheiraten. UNICEF schätzt, dass aufgrund der Pandemie weitere 10 Millionen Mädchen gefährdet sind, zu Kinderbräuten zu werden – zusätzlich zu den bereits 100 Millionen Mädchen, die im nächsten Jahrzehnt voraussichtlich vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet werden. Die Folgen einer solchen Heirat können katastrophal sein: eingeschränkte Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, soziale Isolation, häusliche Gewalt und Vergewaltigung, Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten, einschliesslich HIV und AIDS, und frühe Schwangerschaft. Von den psychologischen Folgen ganz zu schweigen.

Wenn die Folgen so schlimm sind, warum lassen manche Eltern es dann zu oder – schlimmer noch – zwingen ihre Mädchen zur Heirat? Die Gründe für Kinderheirat sind vielfältig und komplex, aber es gibt drei Hauptantriebskräfte:

1. Geld und Überleben  

Wenn Familien im Teufelskreis der Armut gefangen sind, ohne eine sichere Einkommensquelle, können sie gezwungen sein, ihre Kinder als Ware zu benutzen, um zu überleben. Mädchen sind aufgrund ihres gesellschaftlichen Status in vielen Ländern am stärksten gefährdet und werden oft zur Arbeit oder zur Heirat geschickt, entweder im Tausch gegen Vieh oder Geld oder einfach nur, damit ein Mund weniger zu versorgen ist. Naturkatastrophen, globale Wirtschaftsschwankungen und andere Umstände können die ohnehin schon prekäre finanzielle Situation der Familien noch verschärfen und sie in eine Krise stürzen.

Wenn eine Tochter jung heiratet, kann dies den finanziellen Druck auf die Familie mindern. Doch der Kreislauf der Armut wird dadurch für die Tochter fortgesetzt. Sie ist oft in einer Situation gefangen, in der sie mit grösserer Wahrscheinlichkeit häusliche Gewalt erlebt und schlechtere wirtschaftliche und gesundheitliche Aussichten hat, als wenn sie unverheiratet wäre.

2. Ungleichheit der Geschlechter

Die Ungleichheit der Geschlechter ist eine der Hauptursachen für Kinderheirat. Das Klassenzimmer ist einer der Orte, an denen die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern am deutlichsten zu Tage tritt. Nach Angaben von UNICEF gehen 129 Millionen Mädchen nicht zur Schule, und nur 49 % der Länder haben in der Grundschulbildung die Geschlechterparität erreicht. In der Sekundarstufe II sinkt diese Zahl auf nur noch 24 %.

Familien, die in Armut gefangen sind, bevorzugen Jungen, wenn es um Bildungschancen geht. Ihnen werden in der Regel die besten Einkommenschancen für die Familie attestiert. Von Mädchen wird in der Regel erwartet, dass sie unbezahlte häusliche Arbeit leisten und schliesslich ihre Familie verlassen, um in die Familie ihres Mannes einzuziehen. Deshalb können Mädchen als wirtschaftliche Belastung angesehen werden, und viele Familien sehen in der Kinderheirat eine Lösung, um ihre finanzielle Belastung zu verringern.

Symbolbild Kinderheirat/Zwangsheirat: Eine Frau in Ketten, die sich freikämpft.

Keine Schule mehr, keine Zukunft: Mädchen, die als Teenager oder gar Kinder verheiratet werden, verlieren oft jede Möglichkeit, sich eine eigenständige Zukunft aufzubauen. Wir helfen ihnen, sich von drohender Kinderheirat freizukämpfen.

 

3. Soziale und kulturelle Normen

Obwohl die Kinderheirat in den meisten Ländern illegal ist, werden die Gesetze nur selten durchgesetzt. Oft werden sie zugunsten weithin akzeptierter kultureller Praktiken übergangen. Die Mädchen wissen oftmals nicht, dass es diese Gesetze überhaupt gibt. In einigen ländlichen Gemeinden gilt ein Mädchen als heiratsfähig, sobald es die Pubertät erreicht hat. Es ist üblich, dass es nicht lange dauert, bis sie danach einen Heiratsantrag erhält.

Mancherorts sind Kinderheiraten politisch motiviert. Sie werden arrangiert, um Verbindungen zwischen Stämmen oder Gemeinschaften aufzubauen oder zu stärken. Anderswo geht es um die Familienehre und darum, die Schande zu vermeiden, eine unverheiratete Tochter zu haben oder eine, die schwanger wird, bevor sie verheiratet ist. Manche Eltern glauben, dass sie ihrer Tochter mit einer Heirat im Kindesalter die besten Chancen im Leben geben – doch die Realität sieht ganz anders aus. Nach Angaben der Weltbank bekommen Frauen, die als Kinder heiraten, im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 1,4 Kinder mehr als Frauen, die erst nach dem 18. Lebensjahr heiraten. Sie haben zudem ein erhöhtes Risiko für Armut und schlechte Gesundheit. Kinder, die von Müttern unter 18 Jahren geboren werden, leiden ebenfalls unter negativen Auswirkungen: Sie haben ein höheres Risiko, vor dem fünften Lebensjahr zu sterben, unterernährt zu werden und zu verkümmern als Kinder, die von erwachsenen Müttern geboren werden.

Welchen Unterschied macht eine Kinderpatenschaft für diese Mädchen?

Im Kern ist die Kinderzwangsheirat eine grundlegende Verletzung der Menschenrechte. Sie hat im Jahr 2022 keinen Platz. Helfen wir deshalb  gemeinsam den Mädchen, ihre Entscheidungen zu treffen und ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen!

Die Kinderpatenschaft kämpft aktiv gegen Kinderheirat und greift im Einklang mit den lokalen Gesetzen ein. Sie bekämpft aber auch die eigentlichen Ursachen: Armut, tief verwurzelte Geschlechterungleichheit und schädliche soziale und kulturelle Normen. Indem sie den Familien hilft, Geld zu sparen, Mikrokredite zu erhalten, neue berufliche oder landwirtschaftliche Fähigkeiten zu entwickeln und zu lernen, wie man ein Unternehmen führt, können Kinderpatinnen und -paten den Familien helfen, eine stabile Lebensgrundlage aufzubauen und Alternativen zur Verheiratung ihrer Mädchen zu finden. Kinderpatinnen und -paten setzen sich auch für das Recht von Mädchen ein, zur Schule zu gehen und in der Schule zu bleiben. Sie arbeiten mit Eltern und Gemeindeleitenden zusammen, um die lebensverändernde Wirkung von Bildung für Mädchen zu verstehen. Sie unterstützen Schulen, um Mädchen und Jungen die bestmöglichen Lernmöglichkeiten zu bieten. Und die Kinderpatinnen und -paten arbeiten mit lokalen Behörden, religiösen Führern, Gemeinden und den Mädchen selbst zusammen, um die Rechte der Mädchen zu schützen und Gewalt, Ausbeutung und vor allem Kinderheirat zu beenden.

 

Werden Sie sich an diesem Kampf beteiligen? Übernehmen Sie noch heute eine Patenschaft für ein Mädchen.

 

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