Kein Hunger mehr bis 2030: Ist das trotz COVID-19 noch realistisch?

10. September 2020

Myanmar: Zwei Frauen mit Mundschützen tragen Körbe mit Getreide auf ihren Köpfen.

Bis 2030 soll dem Hunger ein Ende gesetzt werden. Durch die COVID-19-Pandemie sehen diese ehrgeizigen Ziele jetzt ungewiss aus.

Text: World Vision Schweiz
 
Vor fünf Jahren nahm sich die Welt ein grosses Ziel vor: Bis 2030 sollte sich das Leben der ärmsten Menschen konkret und messbar verbessern. Armut und Hunger sollten besiegt werden, die Chance auf Bildung und gute Gesundheit für alle erreichbar sein, und der Zugang zu sauberem Wasser weltweit gewährleistet werden. Unter dem Namen «Sustainable Development Goals» (d.h. Nachhaltige Entwicklungsziele, auch als SDGs bekannt) wurden 17 spezifische Ziele von der UN definiert und international angenommen. 
 
Fünf Jahre später sieht die Zukunft dieser ehrgeizigen Ziele ungewiss aus. Einerseits hat die Welt in vielen Bereichen der Armutsbekämpfung und Gesundheitsvorsorge enorme Fortschritte gemacht – vielleicht mehr, als viele erwartet hätten. Andererseits bedroht nun die Coronavirus-Pandemie viele dieser Erfolge. Sie könnte Jahrzehnte harter Arbeit zunichte machen.
 
Hier sind die Auswirkungen von COVID-19 auf fünf SDG-Entwicklungsziele, die bei den Projekten von World Vision im Vordergrund stehen. Diese Ziele bestimmen ganz konkret, wie wir unsere Ressourcen einsetzen, wo Spendengelder hinfliessen, und wie wir den ärmsten Kindern dieser Welt nachhaltig eine bessere Zukunft schaffen. Die SDGs helfen internationalen Organisation, die Arbeit miteinander und mit Regierungen zu koordinieren. In Zeiten der Pandemie sind diese Ziele umso wichtiger, um die Konsequenzen der aktuellen Situation zu verstehen und gemeinsam zu bewältigen.

 Ein Mädchen liest ein Buch.Die COVID-19-Pandemie hat grosse Auswirkungen auf die 17 von der UN definierten Entwicklungsziele. Auch auf die Bildungschancen der Kinder.

SDG 1: Keine Armut
 
Die Bekämpfung der Armut steht an erster Stelle der SDG-Entwicklungsziele, und ist auch für World Vision die ein wichtiges Ziel. Das SDG 1, «keine Armut», zielt darauf ab, die extreme Armut (definiert als ein Einkommen unter 1,90 Dollar pro Tag) bis 2030 zu beseitigen.
 
Vor COVID-19 stand dieses Ziel durchaus in Reichweite, denn der weltweite Kampf gegen die Armut hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. In vielen Regionen ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, seit Jahren kontinuierlich gefallen. Laut der Weltbank lebten 1990 noch 1,9 Milliarden Menschen weltweit in extremer Armut. 2015 waren es circa 736 Millionen. Das ist immer noch zu viel, aber der Trend geht in die richtige Richtung. Durch COVID-19 und die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie könnten diese hart errungenen Erfolge jedoch ausgelöscht werden. Die dramatischsten Projektionen zeigen, dass eine halbe Milliarde Menschen durch die Pandemie in extreme Armut gestürzt werden könnten.
 
Die Projekte von World Vision zielen auf die langfristige Verbesserung der Lebensqualität ab. Durch Bildungsprogramme, Spargruppen und Kooperativen erreichen wir, dass Eltern ein selbstständiges Leben aufbauen können und ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Ausserdem springt die Organisation zu Krisenzeiten mit Hilfsgütern, Medikamenten und Nahrungsmittelpaketen ein. In der derzeitigen Situation müssen Regierungen und internationale Organisationen schnell handeln, um sowohl die Nothilfe als auch die Fortführung von Entwicklungsprogrammen zu gewährleisten. 
 
Bangladesch: Kinder rennen über einen Damm.
Der Kampf gegen die Armut war in den letzten Jahren sehr erfolgreich. COVID-19 droht diesen Fortschritt nun zunichte zu machen.

SDG 2: Kein Hunger
 
Das World Food Programme (WFP), eine UN-Organisation, die in der ganzen Welt Hungerhilfe leistet, beschreibt Hunger als das «grösste lösbare Problem der Welt». 821 Millionen Menschen gehen jeden Abend hungrig ins Bett. Dabei hat die Welt genug Ressourcen, um alle Menschen zu ernähren – vor allem, wenn wir weniger Nahrung wegwerfen. Ein Drittel aller Lebensmittel wird weltweit verschwendet oder geht verloren. Das sind 1,3 Tonnen jährlich.
 
Die Corona-Krise verschärft das Problem. Seit April warnt das WFP vor einer «Hunger-Pandemie». Laut einer Studie von World Vision sind allein in Asien 110 Millionen Kinder wegen COVID-19 von Hunger bedroht. Die Schliessung von Grenzen und Märkten unterbricht die Versorgungskette. In manchen Ländern mussten Bauern aufgrund von Quarantänemassnahmen zuhause bleiben, und konnten ihre Felder nicht bestellen. Während der Schulschliessungen erhielten Millionen von Kindern keine Schulspeisungen. Selbst in wohlhabenden Industrieländern sind Schulmahlzeiten oft eine wichtige Quelle gesunder Nahrung für Kinder aus armen Familien. 

Auch die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie, wie zum Beispiel die ansteigende Arbeitslosigkeit und die Konzentration aller Ressourcen auf die Bekämpfung der Pandemie, erhöhen das Risiko einer Welthungerkatastrophe.
 
Das WFP veröffentlicht eine aktive Welthungerkarte, die anzeigt, wo die aktuellen Brennpunkte sind. Seit dem Ausbruch der Pandemie meldet die Karte auch, wo die COVID-19 Fallzahlen gerade stark ansteigen. Hilfsorganisationen rufen zu Spenden auf, um das Schlimmste zu verhindern, und fordern Notlösungen wie die Einrichtung von sicheren Korridoren für Lebensmittel und andere Hilfsgüter, um Krisengebiete trotz der Pandemie zu erreichen.

Auf einem Chart werden aktuelle Risiken zusammengefasst.
Die COVID-19-Pandemie hat grosse Auswirkungen auf die 17 von der UN definierten Entwicklungsziele. Auch Klima- und Umweltkatastrophen haben einen negativen Einfluss.
 
SDG 3: Gesundheit und Wohlbefinden
 
Jedes Kind hat ein Recht darauf, gesund aufzuwachsen. Durch Impfprogramme, die Ausbildung lokaler Gesundheitshelfer und Kampagnen zu Themen wie Hygiene, AIDS/HIV und Ebola helfen wir Familien auf der ganzen Welt, ihre Kinder zu schützen und gesund aufzuziehen. Das SDG 3, «Gesundheit und Wohlbefinden», setzt dazu konkrete Ziele. So soll zum Beispiel die vermeidbare Kleinkindersterblichkeit (definiert als der vermeidbare Tod von Neugeborenen und Kindern unter 5 Jahren) bis 2030 auf Null fallen. AIDS und Malaria sollen bis 2030 ganz ausgerottet werden.
 
Auch bei diesem Entwicklungsziel hat die Welt grosse Fortschritte gemacht. Die weltweite Sterblichkeitsrate für Kinder unter 5 hat sich seit 2000 ungefähr halbiert, von 77 Todesfällen pro 1’000 Lebendgeburten im Jahr 2000 zu 39 Todesfällen im Jahr 2017. Das heisst, dass in den letzten Jahren Millionen von kleinen Kindern durch bessere gesundheitliche Versorgung, Hygiene und Impfkampagnen das Leben gerettet wurde. Impfungen haben ganze Kontinente von bestimmten Krankheiten befreit. Im August 2020 meldete die Weltgesundheitsorganisation, dass Afrika durch ein jahrzehntelanges Impfprogramm das wilde Polio-Virus, auch als Kinderlähmung bekannt, endlich besiegt hat.
 
Das neue Coronavirus bedroht die Gesundheit der gesamten Weltbevölkerung. Anfang September gab es weltweit mehr als 27 Millionen Fälle und mehr als 800’000 Todesfälle. Zum anderen gefährdet die Pandemie aber auch indirekt die Fortschritte im weltweiten Gesundheitswesen.  
 
Im September berichtete The Lancet, eine der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften, dass COVID-19 für das Entwicklungsziel «Gesundheit und Wohlbefinden» enorme Rückschritte bedeuten könnte. 70 Länder haben wegen dem Virus ihre Impfprogramme für Kinder vorläufig eingestellt. Die Krebsvorsorge, die Unterstützung bei der Familienplanung und die Behandlung anderer Krankheiten wurde unterbrochen oder vernachlässigt. The Lancet warnt, dass diese Unterbrechungen das weltweite Gesundheitssystem um Jahre zurückwerfen könnte, und der Gesundheit der Weltbevölkerung langfristig schaden kann. 

Nur durch die internationale Zusammenarbeit können wir es schaffen, diese Unterbrechungen und Lücken so schnell wie möglich zu schliessen, und wieder auf Kurs zu kommen. Der Erfolg Afrikas bei der Polio-Bekämpfung zeigt, dass es auch in Zeiten von COVID-19 möglich ist, gesundheitliche Erfolge zu vermelden.

Ruanda: Eine Mutter liest mit ihrer Tochter ein Buch.
Kinder mit einer guten Ausbildung haben bessere Chancen im Leben.
 
SDG 4: Hochwertige Bildung
 
SDG 4 -  «Hochwertige Bildung» - hat zum Ziel, bis 2030 allen Menschen den Zugang zu hochwertiger Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. Für World Vision ist die Bildung eines der wichtigsten Mittel der Armutsbekämpfung. In den World Vision Lesecamps und Leseclubs üben Kinder nach der Schule mit Spiel und Spass das Lesen und Schreiben. Durch Lehrerfortbildungen und spezielle Workshops für Eltern werden ganze Gemeinden in die Bildungsarbeit miteinbezogen. 
 
COVID-19 bedroht die Bildungschancen von Millionen von Kindern rund um die Welt. Zum einen verpassen viele durch Schulschliessungen wichtige Bildungsphasen. Laut der UNESCO wurden durch die Pandemie bis zu 90 Prozent aller Schulkinder weltweit von Schulschliessungen betroffen. Anfang September, zu Beginn des neuen Schuljahres, waren es immer noch fast 50 Prozent. 

Ausserdem erhöht die Pandemie das Risiko, dass Familien aus Armut und Not ihre Kinder ganz aus der Schule nehmen. Die Kinder werden stattdessen zur Arbeit geschickt oder zwangsverheiratet, weil die Familien sie nicht mehr ernähren können. World Vision setzt sich gegen die Kinderehe und Kinderarbeit ein, und unterstützt Lehrer und Familien dabei, auch während der Schulschliessungen ein alternatives Bildungsangebot zu ermöglichen. Das klappt vielerorts über das Internet und Handys, aber auch über das Radio, durch Lernpakete für zuhause und den Unterricht im Freien.

Myanmar: Ein Junge bedient ein Tippy Tap.COVID-19 hat einmal mehr verdeutlicht, wie wichtig gute sanitäre Anlagen sind. 

SDG 6: Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen 
 
Was haben WCs mit Frauenrechten zu tun? Sehr viel, denn es sind oft die Mädchen, die nicht in die Schule können, weil sie für ihre Familien Wasser holen müssen oder weil es dort keine Toiletten für sie gibt. Der Zugang zu Trinkwasser und die Einrichtung sanitärer Einrichtung ist auch eng mit anderen Entwicklungszielen verbunden. 
 
Schon der Bau eines Brunnens verändert eine ganze Gemeinde und ihre Lebenschancen. Plötzlich müssen die Frauen und Mädchen nicht mehr stundenlang Wasserkanister schleppen – denn sie sind es, die in 80 Prozent der Haushalte ohne Wasser die Versorgung leisten. Stattdessen können sie sich bilden und fortbilden. Die Kinder erkranken nicht mehr an vermeidbaren Infektionen, die durch schmutziges Wasser aus Flüssen und Seen übertragen werden. 
 
Sanitäre Anlagen verbessern ebenfalls schlagartig die Hygiene und reduzieren die Kindersterblichkeit, weil so das Trinkwasser nicht mehr kontaminiert wird. Alte, schwache oder behinderte Menschen können durch hausnahe, leicht erreichbare Toiletten ein würdevolleres und selbstständigeres Leben führen.
 
COVID-19 hat wieder einmal verdeutlicht, wie lebenswichtig sanitäre Einrichtungen sind. Das regelmässige Händewaschen mit Wasser und Seife ist eine der effektivsten Massnahmen, um das Coronavirus und die Verbreitung anderer Viren und Bakterien zu stoppen. Ein einfacher Tippy Tap – ein Kanister voll Wasser mit einem einfachen Fuss-Hebel – kann selbst dort, wo es kein fliessend Wasser gibt, das Händewaschen ermöglichen.

Was nun?
 
World Vision arbeitet seit Jahrzehnten daran, auch den Ärmsten der Welt den Zugang zu einem guten Leben zu ermöglichen. Jedes Jahr sind wir diesem Ziel etwas näher gerückt. Gemeinsam mit unseren Unterstützern und Unterstützerinnen haben wir es geschafft, Millionen von Menschen eine ganz neue Zukunft zu eröffnen. COVID-19 bedroht einerseits diesen Fortschritt. Andererseits zeigt der Rückblick auf die letzten Jahre auch, was wir erreichen können, wenn wir an einem Strang ziehen. Viele der SDGs wirken auf den ersten Blick vielleicht utopisch, sind aber bei näherer Untersuchung erstaunlich erreichbar. Mit dem richtigen Willen können wir es trotz der Pandemie schaffen, diese Ziele umzusetzen.

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