IRAK: IN DEN TRÜMMERN VON MOSSUL

2. August 2019

Text: Deborah Wolfe, World Vision Kanada

Wenn das Wetter schön ist, lässt Raja* sich gern vor die Haustür schieben. Dort denkt sich die 10-jährige manchmal ein neues Lied aus, denn sie singt gern. Langsam wagt sie sich auch etwas weiter hinaus, mit ihrer Mutter als Helferin und Beschützerin.
Die Erinnerungen an das Geschehene hinderte Raja lang daran, ihr Haus zu verlassen. Zu schrecklich war das, was dort draussen passiert ist. «Ich bin nicht gerne eine Gefangene zuhause», erzählt Raja. «Eigentlich mag ich es, draussen zu sein und mit Freunden zu spielen, aber ich habe mich daran gewöhnt allein zu sein, vor allem seit meiner Verwundung.»

Mossul, Irak: Einige bunte, zerbombte Häuserruinen.MOSSUL, IRAK: AUCH ZWEI JAHRE NACH DEM ANGRIFF LAUERN ZWISCHEN DEN TRÜMMERN NOCH ZAHLREICHE, EXPLOSIVE MINEN UND GRANATEN.

Unter Beschuss
«Es war ein Freitagmorgen und mein Vater war zum Beten in die Moschee gegangen», beginnt Raja. «Ich war zuhause, sass an der Tür. ISIS-Leute schossen nahe unserem Haus auf ein Flugzeug und es schoss zurück. Unser Haus hat gebebt. Wir hatten Angst, dass das Dach über uns einstürzt und rannten hinaus. Wir kamen bis zum dritten Haus. Da fiel eine Bombe. Ich erinnere mich, dass ich auf dem Boden lag.» Den Schmerz erwähnt Raja in ihrer Erzählung nicht. Wahrscheinlich befand sie sich in einem Schockzustand. «Ich sah, wie meine Hand blutete. Ich sah auf meinen Bauch, der blutete auch.»

Nachbarn zogen das schwer verletzte Mädchen ins Haus, konnten es aber wegen der anhaltenden Kämpfe nicht sofort ins Krankenhaus bringen.  Endlich im Spital angekommen kämpften die Ärzte darum, die Blutung zu stoppen und ihre Hand, Beine und Füsse zu retten. 

Zurück in den Alltag
Nach zwei Monaten wurde Raja aus dem Krankenhaus entlassen. Ihr kleiner Körper war gezeichnet vom Krieg: Sie hatte ihre linke Hand verloren. Ihre Füsse und Beine waren stark verletzt. Sie musste überall hingetragen werden. Erst viele Monate später bekam sie einen Rollstuhl, den World Vision zur Verfügung stellte. Es dauerte eine Weile, bis sie diesen benutzte. «Ich wollte das Haus nicht verlassen, also blieb ich drinnen», sagt Raja. «Oft sass ich am Eingang und fühlte die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht.» 

Eine Sozialarbeiterin von World Vision lud Raja vor einigen Monaten in ein Kinderzentrum ein. Das Mädchen brauchte viel Mut, um diese Einladung anzunehmen. So vieles sprach dagegen, das Haus zu verlassen. Der Stadtteil von Mossul, in dem Raja zuhause ist, wurde in der Schlacht gegen den sogenannten «Islamischen Staat» in ein Trümmerfeld verwandelt. Mit dem Rollstuhl glich jeder Spaziergang durch die zerstörte Stadt einem mühsamen und gefährlichen Hindernislauf. Auch zwei Jahre nach dem Angriff lauern zwischen den Trümmern noch zahlreiche Minen und Granaten, die jederzeit explodieren können.

Mossul, Irak: Ein Mädchen sitzt in einem Rollstuhl in einem Vorhof.
ERST VIELE MONATE NACH DEM ANGRIFF BEKAM RAJA EINEN ROLLSTUHL, DEN WORLD VISION ZUR VERFÜGUNG STELLTE.

Im Kinderzentrum von World Vision
Bunte Bilder zieren die Mauern des Kinderzentrums. Selbst gemalt von Jungen und Mädchen, die sich danach sehnen, über eine Stadt aus Trümmern hinauszuschauen. Die kleine Oase ist kostbar für Kinder. Draussen bleibt ein Grossteil der Stadt zu unsicher für Spiele. Aber im Inneren herrscht Frieden. Die Mitarbeitenden sprechen leise und freundlich. Sie drängten Raja nicht zum Reden oder zur Teilnahme, bevor sie bereit war. Sie konnte einfach zusehen und zuhören, wie andere Kinder Lieder sangen, spielten und malten.

Im Kinderzentrum geschieht aber noch mehr. Traumatisierte Kinder wie Raja erhalten dank der Zusammenarbeit mit einer lokalen Partnerorganisation und Zuschüssen der deutschen Bundesregierung zum Projekt professionelle Hilfe für ihre psychologischen Bedürfnisse. Bei Raja, deren Familie die Hilfe dankbar annahm und sie unermüdlich unterstützte, zeigten sich in den folgenden Monaten fortschreitende Verbesserungen ihrer seelischen Verfassung. Die Heilung ist nicht einfach. Aber sie kommt. «Ich liebe es, Bilder zu zeichnen und zu malen. Ich male gerne Berge und Flüsse, weil ich da gerne hinmöchte», sagt sie.

Mossul, Irak: Eine Gruppe Kinder und eine Frau sitzen mit bunten Hüten und lachend in der Kinderschutzzone von World Vision.
IN DEN KINDERSCHUTZZONEN VON WORLD VISION KÖNNEN KINDER SPIELEN  , SINGEN, SPASS HABEN UND DIE ANHALTENDEN KONFLIKTE IM LAND VERGESSEN.

Rajas Geschichte
Während Raja ihre Geschichte erzählt, sitzt ihre Mutter stumm neben ihr. Sie weint, als ihre Tochter von dem Tag erzählt, an dem sie verletzt wurde. Raja ist nicht stolz auf ihren Mut und ihre Tapferkeit. «Diese Dinge, die mir passiert sind, die passieren nun einfach manchmal», erklärt Raja mit einer Abgeklärtheit, die nicht so recht zu einem 10-jährigen Mädchen passen will. «Ich bin einfach froh, am Leben zu sein», sagt Raja – bewundernswürdig tapfer.

Mossul, Irak: Ein Mädchen blickt lachend in die Kamera. In ihrer Hand hält sie eine selbstgemalte Zeichnung von einer rosaroten Blume.DER KRIEG HAT IHR DIE LEBENSFREUDE NICHT GENOMMEN: «ICH LIEBE ES, BILDER ZU ZEICHNEN», SAGT RAJA.

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