Indien: ein Stigma, das tötet

17. Mai 2021

Von links nach rechts: Sufian, Sohail und ihre Mutter Nilofer beim Essen in ihrer Wohnung.

Sufian* (14), sein älterer Bruder Sohail* (18) und ihre Mutter Nilofer* (38) gemeinsam beim Essen in ihrer Wohnung. Vater Suleiman fehlt ihnen sehr.

Text: World Vision Schweiz

Suleiman arbeitete als Schneider in einer Fabrik, seine Frau Nilofer kümmerte sich zu Hause um die beiden Söhne. Mit Beginn des Lockdowns verlor Suleiman jedoch seinen Job. Das machte der Familie schwer zu schaffen. Denn Suleiman war Dialysepatient und musste dringend behandelt werden. Um seine Behandlung weiter bezahlen zu können, suchte Nilofer all ihren Schmuck zusammen und verkaufte ihn.

Die Familie wohnt in einer kleinen Wohnung in Dharavi, einem der grössten Slums Asiens. Enge Gassen, Müllberge und zahlreiche Menschen auf zu wenig Raum, prägen das Bild des Viertels. Abstand halten und zu Hause bleiben ist für die Bevölkerung hier nur schwer möglich. So wurde der Slum schnell zu einem Corona-Hotspot. Das Virus verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das eng besiedelte Viertel, Tausende Menschen infizierten sich. So auch Suleiman. 

«Ich habe meinen Nachbarn gesagt, dass heute mein Haus von diesem Problem betroffen ist, aber Gott bewahre, morgen könnte es auch ihres sein. Das Virus warnt dich nicht vor», sagte die 38-jährige Nilofer.

Bis heute hat Corona Indien hart getroffen. Nicht nur die Infektionen, auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen waren während des ersten Lockdowns 2020 verheerend. Nun leidet das Land und seine Bevölkerung unter einer extrem heftigen zweiten Welle. Indien  hat weltweit die zweithöchste Zahl an Covid-19-Infektionen und verzeichnet bisher mehr als 22,9 Millionen Fälle. Die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher liegen. Das indische Gesundheitssystem ist völlig überlastet, die Spitäler sind überfüllt und es mangelt massiv an Sauerstoff. 

 

Indien: Der 14-jährige Sufian sitzt vor seinem Haus und macht Notizen.

Sufian vermisst seinen Vater sehr und ist sehr stolz auf seine Mutter, die sich nun einen Vollzeitjob gesucht hat, um die Familie zu ernähren.

 

Eine Infektion wird zum tödlichen Stigma

Suleimans Sohn, der 14-jährige Sufian ist Patenkind bei World Vision. Mit der Unterstützung von World Vision konnte die Familie das Geld für die Krankenhauskosten, Medikamente und den Transport Suleimans aufbringen. Glücklicherweise erholte er sich von der Infektion. Nach einem Monat war Suleiman endlich wieder mit Nilofer und seinen beiden Söhnen vereint. Doch leider war ihre gemeinsame Zeit nur von kurzer Dauer. 

Trotz seiner Genesung musste Suleiman weiter behandelt werden. Vergeblich suchte die Familie nach einem Zentrum, das Dialysepatienten aufnimmt, die an Covid-19 erkrankt waren. Die Kliniken hatten entweder Angst, dass Suleiman immer noch ansteckend sein könnte oder dass er sich erneut infizieren würde. Nilofer kontaktierte tagelang verzweifelt ein Zentrum nach dem anderen, aber nirgends wollte man ihn aufnehmen. Innerhalb einer Woche verstarb Suleiman,  weil er nicht rechtzeitig zur Dialyse kam.

In Indien ist das Stigma, dass Infizierten und Genesenen anhaftet, ein grosses Problem. Vor allem für die Ärmsten der Bevölkerung. Reiche Familien lassen ihr Personal nicht mehr in ihre Häuser, das entzieht zahlreichen Familien die Existenzgrundlage. Tagelöhner, die in ihre Heimatdörfer zurückkehren, schleppen dort das Virus ein. Die infizierten Familien werden eingesperrt, mit Plakaten wird vor den Infizierten gewarnt. Auch nach ihrer Genesung möchte keiner mit ihnen Kontakt haben. Dies erinnert sehr an den Umgang mit Menschen aus den untersten Kasten, früher auch «die Unberührbaren» genannt. Die Angst der Menschen vor dem Virus und seinen Folgen ist gross. Ebenso das Unwissen über die Eigenschaften und den Verlauf der Krankheit. Diese Stigmatisierung trägt auch dazu bei, dass viele ihre Infektion geheim halten.

 

Indien: Nilofer in der Fabrik bei ihrer Arbeit als Fadenschneiderin.Nach dem Tod ihres Ehemanns wurde Nilofer zur Ernährerin ihrer Familie. Jetzt arbeitet sie als Fadenschneiderin in einer Textilfabrik.

 

«Ich vermisse seine Liebe…»  

Nach Suleimans Tod musste Nilofer schnell die Rolle der Haupternährerin übernehmen. Sie kümmert sich allein um ihre beiden Söhne und arbeitet zusätzlich Vollzeit als Fadenschneiderin. Sie hat inzwischen keine Angst mehr vor dem Virus. Sie kämpft einfach weiter und arbeitet hart, um ihren Kindern die bestmögliche Zukunft zu bieten. «Es ist wirklich hart, denn ich muss für meine Kinder ein tapferes Gesicht aufsetzen. Wenn ich dann weine, weinen auch sie», sagt Nilofer.

Auch Sufian vermisst seinen Vater und ist zugleich sehr stolz auf seine Mutter. «Mein Vater war sehr beschützend. Ich vermisse seine Liebe... Das vermisse ich am meisten. Die Art, wie er meine Mutter und uns geliebt hat», sagte er. «Es gefällt mir nicht, dass meine Mutter jetzt arbeiten gehen muss. Ich vermisse ihre Anwesenheit zu Hause, und wir können kaum noch Zeit miteinander verbringen. Trotzdem bin ich stolz auf sie, weil sie den Haushalt führt, zur Arbeit geht und sich um uns kümmert. Sie tut so viel für uns», erzählt ein dankbarer Sufian. 

World Vision unterstützt die Familien in den Slums nicht nur medizinisch und wirtschaftlich. Unsere lokalen Mitarbeitenden arbeiten auch daran, die Bevölkerung zu informieren und zu schulen. Sie erhalten wichtige Informationen über das Virus und wie sie sich durch Hygienemassnahmen schützen können. Das nimmt den Menschen die Angst und trägt dazu bei, dass Vorurteile abgebaut werden. 

Um in Indien weiter aktiv sein zu können, benötigen wir dringend Ihre Spende. Helfen Sie uns im Kampf gegen diese verheerende Infektionswelle. 

*Namen wurden geändert

 

 

 

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