Die unsichtbare Pandemie: Mentale Gesundheit in Gefahr

26. Mai 2021

Südsudan: Ajok, 13 in Schuluniform springt mit geschlossenen Augen in die Luft.

“Uns wurde gesagt, dass die Schulen vielleicht nie wieder geöffnet werden. Das führte dazu, dass drei meiner Freundinnen heirateten und jetzt nicht mehr zur Schule gehen. Ich bin traurig darüber, dass das Coronavirus die Zukunft meiner Freunde ruiniert hat", sagt Ajok (13) aus dem Südsudan.

Text: World Vision Schweiz

Eine World Vision-Studie untersuchte die Auswirkungen der Pandemie auf die mentale Gesundheit von Kindern in Kriegs- und Krisengebieten. Dabei wurde festgestellt, dass sich 38 Prozent der befragten Kinder aus Kolumbien, der Demokratischen Republik Kongo, Jordanien, dem Libanon und Südsudan sowie dem besetzten palästinensischen Gebiet traurig und ängstlich fühlen. 40 Prozent der Kinder und 48 Prozent der Eltern gaben an, dass Covid-19 zurzeit die grösste Angst darstellt.

Ganze 12 Prozent der Kinder gaben sogar an, dass sie sich ständig extrem traurig und ängstlich fühlen. Für diese Kinder besteht das Risiko, dass sie mittelschwere bis schwere psychische Störungen wie Depressionen und Angstzustände entwickeln. Dies ist ein Anstieg um 33 Prozent zu vergleichbaren Studien vor der Pandemie.

 

Warum leiden Kinder unter zunehmenden Ängste und Sorgen?

Die mentale Gesundheit von Kindern in Krisengebieten ist durch die Erfahrung von Krieg, Missbrauch und Flucht bereits stark vorbelastet. Nachdem sie lebensbedrohliche Konflikte überlebt haben, werden ihre andauernde Angst, Trauma und chronischer Stress durch die tägliche Angst, die Ungewissheit und die Not der Pandemie, noch verstärkt.

Traumatische Erfahrungen wie häusliche Gewalt, Zwangsverheiratungen und sexuelle Gewalt vermehren und wiederholen sich nun durch die Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie. Laut der Umfragen identifizierten Kinder die Angst vor dem Virus, Missbrauch, bewaffneten Konflikten, Gewalt und Armut als die Hauptrisiken während der Pandemie. Die meisten Kinder und Eltern jedoch befürchteten, sich selbst mit dem Virus anzustecken oder dass Angehörige an dem Virus sterben könnten.

Einrichtungen, die Kindern Struktur, soziale Kontakte und ein sicheres Umfeld bieten, sind nahezu vollständig weggefallen. Das führt neben den Lockdown-Massnahmen zu einer zunehmenden Isolation der Kinder. Sie werden mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen, können ihre Traumata nicht ausreichend aufarbeiten und sind ohne diese sicheren Orte weiterer Gefahren wie Teenagerschwangerschaften, Zwangsarbeit oder Zwangsrekrutierungen ausgeliefert.

Laut der Umfragen betonten rund 90 Prozent der Kinder und Jugendliche vor allem die negativen Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit und ihr Wohlbefinden durch den gestörten Zugang zu Schulen, gefolgt von sozialen Dienstleistungen und Aktivitäten (70,9 Prozent), Spielplätzen (65 Prozent) und Gesundheitszentren (41,9 Prozent).

Auch wenn in vielen Ländern Kindern und Jugendliche die Möglichkeit auf Fernunterricht geboten wird, ist dieser vor allem in Krisengebieten nur eingeschränkt zugänglich. Viele Kinder, die an der Studie teilgenommen haben, sind vom Fern- und Online-Unterricht ausgeschlossen, weil es ihnen in ihrem zu Hause an Strom, Internetverbindungen und entsprechenden Geräten fehlt.

 

Libanon: Jude (links) und Mhamad (rechts) freuen sich über die Materialien aus ihren Psychosocial Support Kits.Jude (13) und Mhamad (11) aus dem Libanon freuen sich sehr über ihre Psychosocial Support Kits (PSS), die ihnen die Möglichkeit geben, kreativ zu werden und Erlebtes zu verarbeiten.

 

Was die Kinder nun am dringendsten brauchen

Viele Kinder sind mit der unberechenbaren Pandemiesituation und den Emotionen, die damit einhergehen, völlig überfordert. Vor allem dort, wo ganze Familien bereits durch Kriege und Flucht um ihre Existenz bangen, bleibt seitens der Eltern kein Raum, um dies aufzufangen. Die Kinder werden mit ihren Ängsten und Sorgen alleingelassen. Was früher noch soziale Einrichtungen und Schulen abgefangen haben, müssen die Kinder nun mit sich selbst ausmachen. 44 Prozent der befragten Eltern bemerkten Veränderungen in der Beziehung zu ihren Kindern, einschliesslich aggressivem Verhalten der Kinder und zunehmendem Stress und Druck. 

Nach ihren Bedürfnissen gefragt, wünschten sich die befragten Kinder unter anderem die Möglichkeit, Sport zu treiben, spielen zu können, Zeit mit ihren Eltern zu verbringen, sowie die Öffnung von Schulen und Frieden in ihren Ländern. Über die Hälfte (57 Prozent) der befragten Kinder gaben jedoch an, dass sie vor allem psychologische und psychosoziale Unterstützung benötigen – das ist das 3-Fache als noch vor der Pandemie. 

Allerdings sind die Mittel, die für psychische und psychosoziale Unterstützung in humanitäre Nothilfemassnahmen bereitgestellt werden, immer noch völlig unzureichend. Schätzungsweise weniger als 1 Prozent der gesamten humanitären Mittel werden bisher aufgewendet, um diese Bedürfnisse zu befriedigen und die Ursachen zu bekämpfen.

Die Daten dieser Studie zeigen: Wenn diese unsichtbare Krise nicht dringend angegangen wird, wird eine Generation der verletzlichsten Kinder der Welt wahrscheinlich unter verheerenden lebenslangen Folgen leiden. Es droht eine globale Krise der psychischen Gesundheit von Kindern.

 

Eine Gruppe von Jungen spielt ein Wurf- und Fangspiel im Child Friendly Space im Südsudan.Eine Gruppe Jungen spielt in einer wiedereröffneten Kinderschutzzone im Südsudan. Nachdem Schulen und auch das Zentrum monatelang schliessen mussten, waren viele der Kinder gezwungen, auf der Strasse um Essen zu betteln.

 

Was nun getan werden muss

Traumatischen Erfahrungen und toxischer Stress in jungen Jahren kann die Gehirnentwicklung eines Kindes verändern. Vor allem auf Kinder in Kriegs- und Krisengebieten trifft dies zu. Jede weitere Krisensituation, wie beispielsweise eine globale Pandemie macht diese Kinder ganz besonders anfällig für psychische Langzeitschäden. Einer der ersten Massnahmen sollte daher sein, Konflikte und Kriege durch friedliche, diplomatische und politische Lösungen zu beenden.

Zudem sollte die Behandlung der psychischen Gesundheit Hand in Hand gehen mit der Erfüllung der physischen Gesundheitsbedürfnisse und muss Teil jeder humanitären Massnahme sein.

Vor allem die Integration angemessener psychologischer und psychosozialer Unterstützung in lokalen Gesundheitszentren, Schulen und Jugendclubs ist der Schlüssel zur nachhaltigen Unterstützung von Kindern, die von Konflikten betroffen sind. Mitarbeitende, Eltern und Betreuer und Betreuerinnen müssen mit Fähigkeiten ausgestattet werden, um Kindern in diesen schwierigen Zeiten helfen zu können.

World Vision bietet sogenannte MHPSS-Dienste (Mental Health & Psychosocial Support) bereits in rund 70 Ländern an. Dabei helfen wir Kindern und ihren Familien den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu erleichtern: In humanitären Notsituationen profitieren Kinder in unseren Kinderschutzzentren von einem erweiterten Paket an psychosozialen Aktivitäten, wie beispielsweise expressiver Kunst, Musik und Spiel, um ein Gefühl von Normalität zu fördern und zu verhindern, dass sich das Empfinden von Not und Leid zu schweren psychischen Zuständen entwickelt.

Helfen Sie mir Ihrer Spende dabei, diese Angebote weiter auszubauen und noch mehr Kindern und ihren Familien psychologische Unterstützung zugänglich zu machen.

 

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