Bei Pedro (links) und Teresa (rechts) essen Plumpy’nut, eine Erdnusspaste, die Kinder mit schwerer Mangelernährung aufbaut und stärkt.
Text: World Vision Schweiz
Hunger, Mangelernährung, Ernährungsunsicherheit und Hungersnot
690 Millionen Menschen weltweit leiden an Hunger. Doch der Hunger, von dem wir hier sprechen, hat nichts mit dem uns bekannten Magengrummeln zu tun. Laut Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) drohen weltweit mehr als 270 Millionen Menschen zu verhungern.
Aus Hunger wird schnell Mangelernährung. Der Begriff Mangelernährung beschreibt eine einseitige Ernährung. Dabei werden nicht genügend Kalorien aufgenommen und der Nahrung fehlt es an ausreichend Vitaminen und Nährstoffen. Der Körper wird geschwächt. Die Menschen können nicht mehr Arbeiten und sind anfälliger für Krankheiten. Es entsteht eine gefährliche Abwärtsspirale. Am schlimmsten trifft es, wie so oft, die Schwächsten: Schwer mangelernährte Kinder erleiden folgenschwere Entwicklungsstörungen und haben ein 9-mal höheres Sterberisiko im Vergleich zu normalernährten Kindern.
Mangelernährung ist häufig die Konsequenz einer Ernährungsunsicherheit. Menschen, die in Ernährungsunsicherheit leben, können sich nicht regelmässig mit ausreichend nahrhafter und hochwertiger Nahrung versorgen. Dabei wird unterschieden zwischen einer vorübergehenden Ernährungsunsicherheit und einer chronischen Ernährungsunsicherheit. Ausgelöst entweder durch plötzliche Ereignisse wie Naturkatastrophen oder länger anhaltende Zustände wie Dürren oder Konflikte. Doch gibt es nie nur «den einen» Grund, der Millionen von Menschen in eine Hungerkrise treibt.
Mit dem MUAC-Band kann der Ernährungszustand von Kindern gemessen werden. Der rote Messbereich steht für eine akute Mangelernährung. Das Kind benötigt sofortige Unterstützung.
Die Gründe für den Hunger
Die Gründe für eine Hungerkatastrophe sind komplex. Häufig handelt es sich um eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Dazu gehören der Klimawandel, bewaffnete Konflikte, Flucht und Vertreibung sowie Wirtschafts- oder Gesundheitskrisen. Meist bedingen sich diese Faktoren gegenseitig und bilden einen gefährlichen Teufelskreis, der den Zugang zu Nahrung für Millionen Menschen unmöglich macht. Die Corona-Pandemie verschärft die weltweite Situation zusätzlich, vor allem in bereits vorbelasteten Regionen. Durch die Massnahmen zur Bekämpfung des Virus wurde vielerorts die Mobilität stark eingeschränkt. Dadurch entstand ein Spannungsfeld aus Arbeitslosigkeit und zeitgleich steigender Lebensmittelpreise. Viele Hilfsorganisation konnten zudem nur einen Bruchteil der Menschen in Not versorgen. Die Welthungerhilfe prognostiziert, dass durch die Pandemie bis zu 130 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger getrieben werden.
Auszug aus der aktuellen Einstufung und Prognose des IPC für Äthiopien, Tigray (Vollansicht). Die orangenen Bereiche symbolisieren Phase 3 (Krise), die roten Bereiche stehen für Phase 4 (Notsituation). Quelle: www.ipcinfo.org
Die 5 Phasen des Hungers
Wann wird aus Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung eine Hungersnot? Die Hungersnot stellt die fünfte und damit höchste Stufe der Integrated Food Security Classification (IPC) dar. Die IPC ist ein System, das 2004 von einem globalen Netzwerk aus 15 Organisationen wie das World Food Program und Aktion gegen Hunger etabliert wurde. Es verfolgt den Zweck, Hunger anhand einheitlicher und objektiver Kriterien messbar zu machen. Anhand dieser fünf Phasen können humanitäre Hilfsmassnahmen zielgerichtet geplant und begründet werden.
Eine Hungersnot wird erst ausgerufen, wenn:
mindestens 30 Prozent der Bevölkerung trotz humanitärer Hilfe akut unterernährt sind.
2 von 10’000 Menschen täglich an Mangelernährung sterben.
mehr als 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren an akuter Mangelernährung leiden.
mindestens jedem fünften Haushalt nahezu vollständig Lebensmittel und / oder andere lebenswichtige Dinge wie Trinkwasser fehlen.
Der Phase 5 «Hungersnot» gehen vier weitere Phasen voraus, die den Zustand einer akuten Ernährungsunsicherheit innerhalb einer Region bewerten.
1. Minimal
Die Ernährungslage gilt als gesichert. Weniger als 3 Prozent der Bevölkerung leiden an Unter- oder Mangelernährung.
Beispiele: Schweiz, Japan, USA
2. Angespannt
Die Versorgung mit Lebensmitteln ist grundsätzlich gesichert. Einige Haushalte können sich essenzielle Lebensmittel nicht leisten. Weniger als 10 Prozent der Bevölkerung leiden an Unterernährung.
Beispiele: Andenregionen in Südamerika, Teile Chinas
3. Krise
Trotz humanitärer Hilfeleistungen hat mindestens ein Fünftel der Haushalte Lücken in der Versorgung mit Nahrungsmitteln. 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung sind mangel- oder unterernährt.
Beispiele: Bevölkerungsteile in Indonesien, El Salvador, Nigeria
4. Notsituation
Die Situation gilt als humanitärer Notfall und der Zugang zu Nahrung ist stark eingeschränkt. Darüber hinaus hat über 15 Prozent der Bevölkerung keinen oder nur stark begrenzten Zugang zu Nahrungsmitteln.
Beispiele: Bevölkerungsteile aus Senegal, Afghanistan, Äthiopien
Larach füttert ihren Sohn mit Essen, dass sie zuvor in einem Kochkurs zubereitet hat. In einem Kurs von World Vision lernte sie und 17 weitere Mütter, wie sie nahrhafte Mahlzeiten für ihre Kinder zubereitet und Mangelernährung vorbeugt.
Was gegen den Hunger getan werden kann
Im Falle einer drohenden oder akuten Hungersnot, also Phase 4 und 5, muss besonders schnell gehandelt werden. Doch auch die vorhergehenden Phasen 2 und 3 verlangen nach Massnahmen, um die Situation nicht weiter zu verschlimmern. Die IPC ist auch dafür verantwortlich, je nach Phase entsprechende Hilfsmassnahmen einzuleiten. Dazu gehören humanitäre Nahrungsmittelhilfen oder auch strukturelle Interventionen wie Aufklärung und medizinische Versorgung.
World Vision ist als Hilfsorganisation Teil solcher Massnahmen. In akuten Situationen sind unsere lokalen Mitarbeitenden vor Ort und stehen den Menschen in einer Hungersnot bei. Lokale Gesundheitshelfer untersuchen den Ernährungszustand der Kinder und können so über eine angemessene Behandlung entscheiden. Stark mangelernährte Kinder erhalten Aufbaunahrung wie Erdnusspaste, um schnell wieder zu Kräften zu kommen. Rund alle 10 Sekunden versorgt World Vision ein hungerndes Kind mit Nahrung.
Laut Ziel 2 der Ziele für nachhaltige Entwicklung soll bis 2030 der Hunger auf der Welt beseitigt sein. Doch dieses Vorhaben ist in Gefahr, nicht nur die Pandemie, auch der Klimawandel und zahlreiche Konflikte lassen dieses Ziel in weite Ferne rücken.
So vielschichtig die Gründe für die Entstehung einer Hungersnot sind, so komplex gestaltet sich auch ihre Bekämpfung und es gibt noch viel zu tun. Uns ist es besonders wichtig, die Ursachen des Hungers zu bekämpfen. Durch Methoden wie FMNR (Farmer Managed Natural Regeneration) können wir ganze Gemeinden langfristig bei der Ernährungssicherung unterstützen. Gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung etablieren wir Gesundheitsstationen, bilden lokale Selbsthilfegruppen aus und klären über Ernährung und den Umgang mit Lebensmitteln auf. So lernen zum Beispiel Mütter im Südsudan in Kochkursen, wie sie ihren Kindern nahrhafte Mahlzeiten aus lokalen Lebensmitteln zubereiten.
Sie wollen uns im Kampf gegen den Hunger unterstützen? Dann spenden sie jetzt!