BANGLADESCH: BILDUNG IST KEIN LUXUS, SONDERN EIN MENSCHENRECHT

6. März 2019

COX’ BAZAR, BANGLADESCH: UNICEF-CHEFIN HENRIETTA FORE (IN BEIGE) AUF BESUCH IM TRAININGSZENTER VON WORLD VISION. FATEMA (L.) UND IHRE FREUNDE LERNEN HIER SCHNEIDERN.

Text: Karen Homer, World Vision Bangladesch

Bilder: Shabir Hussain & Karen Homer, World Vision Bangladesch

Nur gerade vier Prozent der Rohingya-Jungen und -Mädchen in Cox’ Bazar haben Zugang zu Schulbildung. Im grössten Flüchtlingslager der Welt fehlten dazu bislang die Möglichkeiten. Auch die Chance einen Beruf zu erlernen, bleibt den meisten verwehrt. Arbeitslos und ohne Ausbildungsmöglichkeiten, füllen die Buben ihre Tage mit dem Sammeln von Brennholz, um ein wenig Taschengeld zu verdienen. Andere hängen mit Freunden am Strassenrand ab und verbittern ob der Perspektivlosigkeit des Lebens im Flüchtlingscamp. Die meisten Mädchen bleiben in ihren notdürftigen Unterkünften eingesperrt. Ihre Eltern haben Angst, dass ihre Töchter belästigt oder angegriffen werden, wenn sie sich draussen aufhalten.

Bildung ist ein Menschenrecht
«Bildung ist kein Luxus. Es ist ein Menschenrecht», sagt Rachel Wolff, Leiterin des Kriseneinsatzes von World Vision in Bangladesch. «Flüchtlingskinder und Eltern sagen uns, dass Bildung für sie oberste Priorität hat. Allerdings fehlt vielen Kindern und Jugendlichen der Zugang dazu.» Um hier Abhilfe zu schaffen, hat World Vision sogenannte «life skills»- und «pre-vocational»-Trainings auf die Beine gestellt. Dort sollen 8'400 Jugendliche im Alter von 15-18 Jahren auf das Berufsleben vorbereitet werden.

In Zusammenarbeit mit Unicef wurde in den letzten Tagen das erste der geplanten 21 Zentren eröffnet, in denen die Kurse stattfinden. Henrietta Fore, Unicef-Exekutivdirektorin, besuchte das neue Zentrum in Lager Nummer 13. Von den dort ausgebildeten 80 Jugendlichen lernen 50 Buben Handys zu reparieren und 30 Mädchen das Schneidern, darunter auch die 17-jährige Sura.

Sura schneidert sich ihre Zukunft
Wie die meisten Rohingya-Frauen ging Sura nur wenige Jahre zur Schule und ist Analphabetin. Aber das hinderte sie nicht daran, ihre Zukunft anzupacken. Sura ist eine unternehmerisch denkende junge Frau, die schon in ihrem Dorf in Myanmar eine eigene Schneiderei gegründet hatte. «Eine Frau in meinem Dorf brachte mir das Schneidern bei», berichtet sie ihrer Besucherin Henrietta Fore. «Ich hatte es geschafft, eine Nähmaschine zu kaufen und konnte sie für zwei oder drei Monate benutzen.»

Im August 2017 aber änderte sich ihr Leben schlagartig: In Myanmar brach Gewalt aus und Sura musste aus ihrem Heimatland flüchten. «Wir flohen nach Bangladesch. Meine Nähmaschine musste ich zurücklassen», erzählt Sura. Ihr Vater starb während der Flucht. Plötzlich war Sura verantwortlich für ihre verwitwete Mutter und ihre Geschwister: «Ich habe zehn Geschwister – sechs Brüder und vier Schwestern. Meine Brüder sind alle verheiratet. Ich bin das älteste Mädchen. Ich muss Geld verdienen, aber ich kann hier keinen Job finden.»

SURA BEI DER ARBEIT: GEKONNT NIMMT SIE DIE MASSE VON UNICEF-CHEFIN HENRIETTA FORE.

Im neuen Trainingszenter in der Nähe ihrer provisorischen Behausung plant Sura, ihre Schneiderei zu verbessern, damit sie Kleidung für ihre Familie herstellen und verkaufen kann. Sie ist auch sehr daran interessiert, ihr Wissen mit Klassenkameradinnen wie Fatema zu teilen, einer neuen Freundin unter den 30 Teilnehmerinnen.

Sura ist dankbar für die Ausbildungsmöglichkeit. Sie sagt, dass viele Eltern den Wert der Ausbildung von Mädchen nicht erkennen und sich weigern, ihre Töchter teilnehmen zu lassen. Früh zu heiraten ist in der Rohingya-Kultur weit verbreitet – in den Lagern ganz besonders. Denn die Eltern verheiraten ihre Töchter, damit die Familie an den Esswarenverteilstellen mehr Nahrung bekommt oder aus Angst, dass die Töchter vergewaltigt werden, wonach ein Mädchen nach traditionellem Glauben der Rohingya nicht mehr verheiratet werden kann. «Rohingya-Mädchen heiraten jung, aber wie kann sich ein Kind um ein anderes Kind kümmern?"», fragt Sura. «Wenn du mit dem Heiraten wartest bist du 18 oder 20 Jahre alt bist, dann will dich niemand mehr. Man gilt als alt. In den [westlichen] Ländern kannst du 27 Jahre alt sein und noch keine Kinder haben. Eine Rohingya-Frau hat mit 27 Jahren bereits sechs oder sieben Kinder.»

Eine Zukunft mit Perspektive
Suras Klassenkameradin Fatema, 17, ist traurig, dass sie die Grundschule nicht abschliessen konnte und heute Analphabetin ist. «In meiner Kultur werden Mädchen im Alter von sieben Jahren von der Schule genommen», erklärt sie und rückt den Schleier ihrer schwarzen Burka zurück. «Wir müssen unseren Familien auf dem Bauernhof helfen. Wir machen Mittagessen und bringen es zu unseren Vätern auf das Feld. Wenn Jungs zur Schule gehen können, sollten wir auch zugelassen werden, aber wir sind es nicht.»

Fatema ist überzeugt, dass ihre Zukunft besser ist, wenn sie eine Ausbildung macht: «Ich will hier etwas lernen», sagt sie, während sie Suras Masse nimmt. «Wenn wir Schneidern lernen, können wir unsere Familien und uns selbst versorgen. Frauen in den Lagern brauchen Kleider und Burkas. Wir könnten diese herstellen und verkaufen.»

In der Werkstatt nebenan lernt Shahed, 15, und 49 weitere Jugendliche, wie man Mobiltelefone repariert. Shahed hatte gerade das erste Jahr der Sekundarschule abgeschlossen, bevor ihn die Gewalttaten in Myanmar zwangen sein Heimatland zu verlassen und nach Bangladesch zu fliehen.

SHAHED IST HOCHMOTIVIERT: ER LERNT HANDYS ZU REPARIEREN. HIER ZEIGT ER HENRIETTA FORE UND EINER MITARBEITERIN VON WORLD VISION, WAS ER KANN.

«Hier im Lager ging ich zuerst in eine von den Rohingyas organisierte Schule. Diese Schule gibt es aber heute nicht mehr», erzählt Shahed. «Ich bin den ganzen Tag mit meinen Freunden zusammen. Oft langweilen wir uns. Ich bin in dieses Zenter gekommen, um zu lernen, wie man Handys repariert. Vielleicht kann ich mit meinen Freunden irgendwann ein eigenes Geschäft gründen.» Sein eigentlicher Traum ist es jedoch Arzt zu werden: «So könnte ich meiner Gemeinde helfen.»

Im Mai beginnt in Bangladesch die Monsunzeit; eine Zeit in der der Monsunregen in Bangladesch heftige Überschwemmung verursacht. Bis dahin will World Vision 20 weitere solcher Zentren bauen.

Für Frauen, Kinder und Jugendliche ist die Situation in den Flüchtlingscamps prekär: Ohne Hilfe und Ausbildung haben sie kaum die Möglichkeit, der Armut zu entkommen. Sie können einen Unterschied machen: Spenden Sie jetzt!

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