Von Patenkindern, Rüsselkäfern und politischen Hürden

9. März 2018

Kleines Mädchen wird gemessen

Wie gross ist Denis? Das bald zweijährige Mädchen hat einen Schweizer Paten. Für sie wird das Messbrett auf den Boden gelegt.

Jedes Patenkind wird zweimal jährlich von World Vision-Mitarbeitern aufgesucht, damit wir uns ein Bild von den Fortschritten machen können. Ich war in Lomas (Bolivien) mit dabei und beeindruckt, wie die Mitarbeiter vor Ort so etwas mit 3‘500 Patenkindern organisieren.

Das neunköpfige Team vor Ort machte sich am 19. Februar an die Arbeit, bis in rund zwei Wochen sollte alles fertig vorbereitet sein. Immer wieder mal ist ein Mitarbeiter abwesend, weil eine Schulung mit dem Elternkomitee ansteht oder Lehrpersonen für Absprachen getroffen werden müssen. Für die Hausbesuche sind sie in Zweierteams unterwegs. Bei meinem Besuch sind die Familien dran, die in unmittelbarer Nähe des World Vision-Zentrums wohnen. Deshalb sind keine Hausbesuche nötig, die Familien kommen stattdessen zu uns.

Minuziöse Buchführung
Neben den Müttern mit Kleinkindern auf den Armen reihen sich Jugendliche in der Schlange ein. Gleich beim Eingang liegen die Listen mit den Kinderdaten auf. Rodrigo, ein 18-jährige Freiwilliger ohne Arbeitsstelle, kontrolliert, ob sich etwas verändert hat: Gibt es neue Geschwister? Sind die Eltern noch zusammen? Ist jemand krank?

Rodrigo hat vor drei Monaten den Schulabschluss bestanden. Er war in den letzten vier Jahren Leiter des von World Vision, der Schulleitung und der Polizei aufgebauten Ordnungsclubs, der sich für mehr Sicherheit, Ordnung und Respekt an der Schule einsetzt. Daraus entstand sein Berufswunsch Polizist. Die Aufnahmeprüfung an der Polizeischule hat er zwar bestanden, aber die Einschreibegebühr von 1‘000 Dollar plus 600 Dollar für die Uniform, die selbst zu bezahlen sind, konnten er und seine Familie nicht auftreiben. In einem Jahr, wenn er bis dahin genug verdient haben sollte, will er es nochmals versuchen. Arbeit hat er aber noch keine gefunden. Darum hilft er beim Monitoring mit, er macht das gerne und Zeit hat er ja.

Zwei Meter weiter neben Rodrigo werden bei den Kleinkindern Grösse und Gewicht gemessen – wichtige Angaben, um Unterernährung feststellen zu können. Danach geht es zu Wilber in den Hinterhof. Er soll mit seinem Smartphone von jedem Kind ein aktuelles Foto machen – und keine Namen verwechseln! Mit Bällen und anderen Spielgeräten verkürzt er den Kindern die Wartezeit. Am letzten Posten sorgt Neisa dafür, dass jedes grössere Kind einen Brief an seinen Paten abgibt. Auf einzelne Patenkinder wartet auch ein Brief des Paten aus der Schweiz oder aus Kanada – schon ins Spanische übersetzt. Zum Abschluss bekommt jedes Kind ein kleines Geschenk mit auf den Weg, ein Puzzle, Farbstifte oder ähnliches. Mir fällt auf, dass die World Vision-Mitarbeiter immer wieder auf Quechua übersetzen – offensichtlich verstehen viele Mütter im Quartier kein Spanisch.
 
Mit Whatsapp gegen den Rüsselkäfer 
Selbst in extrem abgelegenen Gebieten kann man heute oft via Internet und Whatsapp kommunizieren. World Vision macht sich das zunutze. 

Im Anden-Hochland, wo der Anteil an mangelernährten Kindern besonders hoch ist, unterstützt das Kinderhilfswerk Bauern dabei, die Anbaumethoden zu verbessern, dem Klimawandel zu trotzen. Ziel ist die dauerhafte Verfügbarkeit von Lebensmitteln während des ganzen Jahres und somit eine regelmässige Ernährung der Familien und Kinder. Im Rahmen dieses Projekts produziert World Vision ein zweiminütiges Video, das über den «Gorgojo de los Andes» aufklärt, einen weitverbreiteten Rüsselkäfer, der grossen Schaden in den Kartoffelpflanzungen anrichtet. Das Video informiert über den biologischen Zyklus dieses Schädlings und wie er am wirkungsvollsten bekämpft werden kann. Es soll via Whatsapp in Umlauf gebracht werden. Der Clip ist nur 10 Megabyte gross aber trotzdem von guter Bild- und Tonqualität. 60 Megabyte Internet-Volumen kosten in der Region etwa 30 Rappen. Vier weitere derartige Clips werden folgen.

Stolperstein Politik 
World Vision Schweiz setzt alles daran, die am meisten benachteiligten Kinder zu erreichen. Bevor das Programm in Lomas vor knapp fünf Jahren gestartet wurde, analysierte das Kinderhilfswerk die statistischen Daten zu Armut, Krankheiten, Mangelernährung und Gesundheitsversorgung. Trotzdem äussert die Regierung immer wieder Zweifel, ob Bolivien überhaupt noch Unterstützung von Hilfsorganisationen (NGO) braucht. Kürzlich meinte ein Minister, ab 2021 sei die Präsenz von NGOs nicht mehr nötig.
 
Die bürokratischen Hürden werden zunehmend höher und bereiten uns und anderen Hilfswerken einiges an Kopfzerbrechen. World Vision wartet seit zwei Jahren auf die Erneuerung des Rahmenvertrags mit der Regierung. Es müssen umfangreiche Dokumentationen über die Tätigkeiten eingereicht werden, zum Beispiel eine Liste aller laufenden Programme und der jeweils zuständigen Ministerien. Das Ministerium für ländliche Entwicklung brauchte neun Monate (!), bis es einem schwedischen Hilfswerk mitteilen konnte, dass eines der Programme gar nicht in ihren Kompetenzbereich fällt. Eine andere Organisation erhielt kürzlich eine Strafe von über 60‘000 Dollar wegen Verfahrensfehlern. Diese entschied sich, dagegen zu kämpfen. Das Ergebnis:  Die meisten Anschuldigungen lösten sich in Luft auf und übrig blieb eine Busse von 1‘500 Dollar. 

Früher liess sich mit der Zeit ein guter Zugang zu einem bestimmten Ministerium aufbauen, aber die leitenden Beamten werden immer häufiger ausgetauscht und Posten aus politischen Überlegungen, nicht aufgrund von Kompetenzen, neu besetzt. Es kommt immer wieder vor, dass ein Beamter anbietet, eine Bewilligung innerhalb von zwei Wochen zu erwirken, denn er sei selbst Jurist und könne als Berater, das heisst gegen Honorar, die Sache bei seinem Chef durchbringen.
 
Das sind die Rahmenbedingungen für Organisationen wie World Vision. Der Austausch untereinander verhindert, dass nicht jede Organisation separat ihr Lehrgeld bezahlen muss.

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