Südsudan: Ein Tag im Flüchtlingscamp

8. Juli 2016

Zwei Maedchen im Suedsudan

Die Kinder im Südsudan blicken in eine unsichere Zukunft.

Es liegt eine besondere Ruhe über dem Flüchtlingslager, als die Sonne langsam aufgeht: Die weissen Zelte reihen sich nahezu perfekt aneinander und die ersten Sonnenstrahlen des Tages wärmen die rote Erde. Es ist still. Nur ein paar Vögel zwitschern und ein Baby schreit in der Ferne. Rauch steigt über den Zelten auf. Er kommt von den offenen Feuern, auf denen die Familien Wasser kochen.

So friedlich die Stimmung wirkt, erinnern Rauch und Feuer aber auch an eine schreckliche Vergangenheit: Die Heimatdörfer vieler Kinder, die nun im Camp leben, wurden auf brutale Art von Rebellen überfallen. Zahlreiche Häuser gingen in Flammen auf. Viele Mädchen und Buben mussten mitten in der Nacht vor den Angreifern und ihren Waffen fliehen. Ein kurzer Blick zurück über die Schulter zeigte ihnen, was von den einst so friedlichen Plätzen übrigblieb: eine grosse Rauchwolke.

Der Südsudan feiert am 9. Juli fünf Jahre Unabhängigkeit. Sicherheit gibt es aber keine. Jeder fünfte Einwohner musste seit Ausbruch des Bürgerkrieges im Dezember 2013 aus seinem Heimatort fliehen. Nach wie vor kommt es zu Kämpfen im ganzen Land – immer auch zum Leid von Kindern, wie dem neunjährigen Kai. Sein Vater wurde von Rebellen ermordet. Jetzt lebt Kai in einem leeren Zelt in einem der vielen Lager für Binnenflüchtlinge.

«Ich will nicht mehr davonlaufen müssen»
Es ist keine einfache Angelegenheit, Kai von der Hauptstadt Juba aus zu besuchen. Die Reise beginnt mit einem einstündigen Flug. Gestartet wird am internationalen Flughafen. Entlang der Start- und Landebahn liegen etliche Teile von Flugzeugwracks. Nicht gerade ein beruhigendes Gefühl, wenn man gerade in eine kleine Maschine steigt. In Wau, einer Stadt nordwestlich von Juba, angekommen, ist die Reise noch lange nicht vorbei. Weitere sechs Stunden Fahrt sind notwendig, um ins Lager zu gelangen. So wie dieser Ort sind viele Teile des Südsudans nur sehr schwer erreichbar. Flüge gehen oft nur einmal pro Woche. Das stellt auch Hilfsorganisationen vor grosse Herausforderungen.

Als der Konflikt 2013 begann, hatte Kai keine andere Wahl, als alles zurückzulassen. Den Verlust seines Vaters hat er bis heute nicht verkraftet. Als er das erste Mal von ihm erzählt, stockt seine Stimme schon nach dem ersten Satz. Seine Mutter und seine Schwester haben Tränen in ihren Augen. «Er ist gestorben», sagt Kai leise und im selben Moment kullern Tränen auch über seine Wangen. In seinem Alter hat er bereits Dinge sehen und erleben müssen, die kein Kind je sollte. «Es kann jederzeit sein, dass wir wieder weggehen müssen», meint er. Kai lebt in der ständigen Angst, dass sie wegen Kämpfen auch aus dem neuen Heim wieder fliehen müssen. «Ich hasse es, dass ich meinen Vater verloren habe. Er wurde erschossen – bei Kämpfen in der Nähe von unserem Haus. Auch meine Grossmutter ist gestorben.» Im Moment fühlt er sich wohl im Lager, aber die Situation ist alles andere als stabil. «Ich will nicht mehr davonlaufen müssen», erklärt er, während er nervös mit seinen Händen spielt.

Kai hat Hilfe erhalten: Seine Familie hat ein grosses Zelt, aus einem neuen Bohrloch kommt sauberes Wasser und sie bekommen Mehl, um Brot zu backen. «Im Südsudan geht es darum, das Leben von Kindern zu retten.» Mit diesen Worten zeigt ein World Vision-Mitarbeiter auf, wie fragil die Situation nach wie vor ist.

Trotz allem stolz darauf, ein eigenes Land zu haben
Der friedliche Morgen im Camp geht schnell in einen geschäftigen Tag über. Sobald die Sonne am Himmel steht, wird es unerträglich heiss in den Zelten. Das macht es unmöglich, im Inneren zu bleiben. Draussen gibt es keinen schützenden Schatten. Aber das scheint die Kinder nicht zu stören. Sie spielen schon früh Fussball oder mit Murmeln. Viele der Frauen machen sich derweilen auf den Weg in die nächstgelegene Stadt, um zu arbeiten. Manche sammeln Feuerholz, um es am Markt zu verkaufen, wieder andere bleiben daheim, um für ihre Babys zu sorgen. Es sind vor allem Frauen mit ihren Töchtern und Söhnen, die Zuflucht in den Flüchtlingscamps suchen. Viele Männer gibt es hier nicht. Viele der Kinder haben ihre Väter in den Kämpfen verloren.

Kais Mutter schaut ihrem Sohn zu, als er mit dem neuen Fussball spielt, den er von World Vision bekommen hat, und meint: «Der Südsudan hat keine grossen Fortschritte gemacht in den vergangenen fünf Jahren. Angst und Unsicherheit sind noch immer grosse Themen. Ich habe viel Leid und Kampf gesehen, aber ich bin trotzdem stolz darauf, dass wir unser eigenes Land haben. Und ich bin dankbar für die Hilfe, die wir erhalten.» Lächelnd verlässt sie das Camp auf ihrem Weg zum Markt. Diesen Ort, der für die nächste Zukunft ihr Zuhause sein wird.


World Vision arbeitet seit 1989 im Gebiet des heutigen Südsudans. Im vergangenen Jahr wurden rund 1,6 Millionen Menschen mit Hilfsmassnahmen erreicht. Das Kinderhilfswerk unterstützt unter anderem die Behandlung unterernährter Kinder und die Sicherung der Ernährung durch verbesserte landwirtschaftliche Methoden und Umweltschutz. Zudem machte World Vision den Vereinten Nationen Vorschläge für den Friedensprozess und setzt sich dafür ein, dass Jugendliche im Sinne der kürzlich verabschiedeten UN-Resolution als Friedensstifter mitwirken könnten.

Im Video spricht Kai über seine Erlebnisse.

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