Der Schweizer World Vision-Mitarbeiter Emile Stricker musste seinen Projektbesuch in Nicaragua aufgrund der aktuellen Lage abbrechen. Hier sein Bericht.


Blick auf Managua, die Hauptstadt von Nicaragua

Trügerische Idylle in der Hauptstadt Managua: Die Arbeit in den World Vision-Entwicklungsprojekten in Nicaragua ist derzeit nur eingeschränkt möglich.

Schon am Ankunftstag, dem 13. Mai, sehe ich auf der Fahrt vom Flughafen Managua Menschenansammlungen und brennende Pneus. In Masaya südlich der Hauptstadt werden Geschäfte durch einen nicht identifizierbaren Mob ausgeraubt und angezündet. Zwei Tage spätertreffen weiter nördlich in Matagalpa Demonstranten auf Sicherheitskräfte, es gibt erste Opfer. Wegen den Strassensperren ist Reisen kaum möglich, die geplanten Projektbesuche können nicht stattfinden. Am 30. Tag der Proteste reise ich vorzeitig ab. Die traurige Bilanz: 76 Tote, viele Verletzte, Verschwundene, blockierte Strassen, verwüstete Geschäfte und Unsicherheit. 

Einschränkung der World Vision-Programme
Wegen der unsicheren Situation wurden viele Programme von World Vision zeitweise eingestellt. Die meisten Mitarbeitenden kommen nicht mehr ins Büro, da die Strassen gesperrt sind und Busse ausfallen. In der Hauptstadt ist abends kaum mehr jemand unterwegs. 
Der Betrieb bei World Vision Nicaragua läuft seit einem Monat auf Sparflamme, aber nicht jede Region ist gleich betroffen. Das Gebiet um das von World Vision Schweiz finanzierte Entwicklungsprojekt Xochiltlepec ist ziemlich instabil und der Betrieb kann dort zurzeit nicht weitergeführt werden. In den anderen von uns finanzierten Projektgebieten Xolotlan und Yalí wird weiterhin mehr oder weniger gearbeitet. Allerdings sind keine Termine mit Regierungsstellen möglich. World Vision Nicaragua ist derzeit dabei, alle Programme auf die neue Bedürfnislage anzupassen und innerhalb einer Woche einen angepassten Arbeitsplan an unser Schweizer Büro in Dübendorf zur Bewilligung vorzulegen.

Wenig Hoffnung auf Deeskalation 
Die einseitig von der Regierung beschlossene Sanierung der Pensionskasse gab den Anstoss für die Proteste. Selbst ein Einlenken der Regierung in diesem Punkt konnte die erhitzten Gemüter nicht mehr besänftigen. Rentner und sich solidarisierende Studenten gingen auf die Strasse, immer mehr Menschen schlossen sich an. Erstmals seit langem traten auch die Unternehmerverbände mit klaren Forderungen an die Regierung, ebenso wie die katholische Kirche. 

Am Mittwoch, 16. Mai, lud die Bischofskonferenz Regierung und Oppositionsgruppen zum «Nationalen Dialog» ein. Auch Botschaftsvertreter u. a. aus der Schweiz nahmen teil. Die Studenten lasen die Namen der Todesopfer vor und forderten, dass Streitkräfte und Polizei zurückbeordert und die Gewalt unterbunden wird. Ortega zeigte sich dazu nicht bereit. Die Forderungen nach einem baldigen Rücktritt des Präsidenten werden lauter. Unterdessen haben bereits vier Gesprächsrunden des Nationalen Dialogs stattgefunden, aber es sieht nicht so aus, als ob sich die Situation rasch beruhigen würde.