World Vision Schweiz: Was bedeutet für dich humanitäre Hilfe in einem Wort?
Karim Bayoud: Menschlichkeit leben. (Sorry, das sind zwei Wörter).
Wie sieht deine Arbeit bei World Vision aus?
Ich arbeite seit 2012 als Leiter der Not- und Katastrophenhilfe von World Vision Libanon für die syrischen Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene. Unsere humanitäre Hilfe für die Menschen, die im Libanon Schutz suchen, erreicht rund 250 000 syrische Männer, Frauen und Kinder. Unsere Projekte beinhalten vor allem die Verteilung von Lebensmitteln, Hygienesets sowie die Bereitstellung von Latrinen und lebenswichtigen Wassertanks. Ausserdem ermöglichen wir den Kindern Schulunterricht, um zu verhindern, dass ihnen wegen dem Krieg wichtige Schuljahre verloren gehen. In Kinderschutzzonen können syrische Flüchtlingskinder ihre traumatischen Erlebnisse aufarbeiten. Ich selber bin verantwortlich dafür, die laufenden Projekte im Feld zu koordinieren, neue Projekte zu implementieren, die korrekte Durchführung dieser zu überwachen und die Mitarbeitenden zu führen.
Was ist deine Motivation, als humanitärer Helfer zu arbeiten?
Ich möchte etwas zu den Werten der Menschlichkeit beitragen und den Menschen in Not praktisch helfen.
Was gefällt dir am besten an deinem Beruf?
Das Lächeln auf den Gesichtern von notleidenden Menschen, wenn sie von World Vision mit Freundlichkeit, Respekt und Würde behandelt werden.
Was sind die schwierigen Aspekte deiner täglichen Arbeit?
Die instabile Situation und die Sicherheitsrisiken, die während einer humanitären Krise mit politischen Hintergrund herrschen, machen mir zu schaffen. Ausserdem ist es schwierig, die Spannung zwischen dem Mangel an Ressourcen und der steigenden Anzahl notleidender Menschen auszuhalten. Eine gesunde Work-Life-Balance ist in einem Not- und Katastrophenfall ebenfalls schier unmöglich.
Was war die eindrücklichste Erfahrung, die du während deiner Arbeit gemacht hast?
Fast jeder Moment meiner Arbeit ist speziell: Der unermüdliche Einsatz meines Teams ist überwältigend, die Mithilfe der lokalen Bevölkerung zu erleben phänomenal und die Not der traumatisierten syrischen Flüchtlinge zu sehen bricht mir das Herz. Es gibt aber einen Moment, den ich ganz bestimmt nie mehr vergessen werde: Während den Weihnachtsferien 2012 war fast das ganze Team in den Ferien. In dieser Zeit fegte ein Schneesturm über die Bekaa-Ebene, wo die Flüchtlinge in provisorischen Zelten leben. Die Kälte, der Schnee und der dadurch entstandene Schlamm machten den Menschen dort schwer zu schaffen. Aber wegen dem andauernden Sturm war es kaum möglich, die Flüchtlinge zu erreichen. Mein Team hat sich aber dazu entschieden, trotz des Risikos zu den Flüchtlingen zu gehen und ihnen wärmende Decken und Kleider zu bringen. Ich werde den Blick in den Augen der Familien, die wir besuchten, nie mehr vergessen: Sie waren fast schockiert darüber, zu sehen, dass wir für sie unser Leben riskieren, um ihres ein bisschen besser zu machen. Es war ein unglaublich schöner Moment, in dieser schwierigen Situation den Flüchtlingen beizustehen.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Der Krieg in Syrien hat eine der grössten humanitären Krisen der modernen Geschichte ausgelöst, welcher Millionen von unschuldigen Zivilisten ins Elend stürzt. Die Reaktion der Weltgemeinschaft war bis jetzt nur zögerlich, da es an Ressourcen fehlt und die internationale Gemeinschaft nicht zusammen einsteht für die Millionen, die weiter leiden. Drei Jahre Syrien-Krise und täglich neue Flüchtlinge sind genug. Ich wünsche mir, dass die Weltgemeinschaft aufsteht und diese humanitäre Katastrophe beendet.
Am Welttag der humanitären Hilfe sollen die Menschen, die an der Front die Notleidenden unterstützen und oftmals ihr Leben dabei riskieren, geehrt werden. Die UNO hat den Tag 2003 zum ersten Mal ins Leben gerufen, um dem Bombenanschlag auf das UN-Gebäude in Bagdad zu gedenken. Seither wird jeweils am 19. August an die Menschen erinnert, welche bei ihrer Arbeit täglich Gefahren und Elend begegnen. Dieses Jahr steht der Tag unter dem Motto «Humanitarian Heroes» – also Helden der humanitären Hilfe.